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Boxweltmeisterin Aya Cissoko «Die Wut war immer mein Antrieb – zum Boxen und zum Schreiben»

Aya Cissoko wächst in den Banlieues von Paris auf. Als sie acht Jahre alt ist, werden ihr Vater und ihre Schwester getötet. Ihre Wut treibt Cissoko in den Boxring – und bis an die Weltspitze. Heute kanalisiert sie ihre Emotionen beim Schreiben.

Aya Cissoko ist acht Jahre alt, als sie mitansehen muss, wie ihr Vater und ihre Schwester in den Flammen sterben. Ein rassistischer Brandanschlag auf die Brennpunktsiedlung am Rand von Paris. Damit endet Aya Cissokos Kindheit. Was folgte, ist ein Überlebenskampf.

«Wir mussten zu Soldaten werden», sagt Aya Cissoko rückblickend. Die Mutter ist nun alleinerziehend, Analphabetin, verloren. Sie kam als 16-jähriges Mädchen aus Mali nach Paris. Eine arrangierte Heirat mit dem 15 Jahre älteren Vater, der bereits früher aus Mali eingewandert ist. Jetzt ist er tot. Ein Jahr später stirbt auch der jüngere Bruder von Aya, aufgrund einer Fehldiagnose des Arztes.

Aya fängt an zu boxen und findet ein Ventil für ihre Wut. «Das Boxen hat mir geholfen, mich selbst nicht kaputt zu machen», sagt Cissoko: «Denn die Wut, die aus Ungerechtigkeit entsteht, richtet man zunächst gegen sich selbst.» Ihre Wut wird zum Antrieb für ihren Überlebenskampf und für unzählige Kämpfe im Ring. Aya Cissoko wird zweifache Weltmeisterin im Kickboxen und später Weltmeisterin im Amateurboxen. Eigentlich wollte sie tanzen oder Theater spielen: «Aber da gehörten wir nicht hin.»

Vom Boxring an den Schreibstuhl

Mit 30 Jahren bricht sie sich beim Wettkampf einen Halswirbel. Ihre Karriere ist zu Ende. Doch Aya steht wieder auf, sie erfindet sich neu, bekommt ein Stipendium an einer Eliteuniversität und studiert Politik. Sie wird Schriftstellerin und erzählt ihre Lebensgeschichte, die schliesslich verfilmt wird und in die Kinos kommt. «Danbé» heissen Buch und Film: «Würde» in Bambara, der Sprache von Ayas Familie.

Man kann nicht heilen, solange man nicht in Worte fassen kann, was man durchmacht.
Autor: Aya Cissoko Boxweltmeisterin und Autorin

Mit dem Schreiben hat Aya Cissoko ein neues Ausdrucksmittel gefunden für ihre Wut, die eine «berechtigte Wut» sei: gegen Ungerechtigkeit, Rassismus, Armut und Gewalt. Cissoko ist überzeugt: «Man kann nicht heilen, solange man nicht in Worte fassen kann, was man durchmacht. Nicht, solange man nicht erklären kann, warum man unter dieser oder jener Form von Unterdrückung leidet.»

Zwei Boxer im Ring während eines Kampfes.
Legende: Im Boxring war Aya Cissoko bis zu ihrer Verletzung sehr erfolgreich – nun verleiht sie beim Schreiben ihren Gefühlen und Gedanken Ausdruck. AFP Photo / Manpreet Romana

Das Schreiben habe ihr, geholfen «die Gründe für die Wut endlich in Worte zu fassen. Denn Tatsache ist, dass ich als schwarze Frau aus der Arbeiterklasse einer Gesellschaftsgruppe angehöre, der man nicht zuhört. Unsere Stimme zählt nicht.»

Der «statistische Irrtum»

In Ihrem dritten und neusten Buch mit dem Titel «Kein Kind von nichts und niemand» spricht sie gar von einem «Krieg», den Frankreich gegen armutsbetroffene Menschen führe, und schreibt: «In Frankreich sind nicht alle Leben gleich viel wert. Dieses Land will, dass wir am Rand bleiben.» Harte Worte. Dabei hat Frankreichs Regierung das Problem längst erkannt und bereits einiges unternommen, etwa Investitionen in die Infrastruktur, in bessere Erschliessung wie Tramlinien und Metros zu den Banlieues. Aus Cissokos Sicht ändert sich damit nichts.  

Die Geschichte ist dein Talisman. Sie wird dir helfen , stolz durchs Leben zu gehen.
Autor: Aya Cissoko Boxweltmeisterin und Autorin

Aya Cissoko ist die Ausnahme, ein «statistischer Irrtum», wie sie selbst sagt. Sie hat es geschafft, trotz Armut, Ungleichheit, Rassismus und Traumata. Kraft gegeben hat ihr die Wut, aber auch die Geschichte ihrer Vorfahren, die dem Kolonialismus und der Entwurzelung getrotzt haben. Darum rät sie heute ihrer eigenen Tochter: «Vergiss diese Geschichte ja nicht. Sie wird dein Talisman sein, der dir helfen wird, stolz durchs Leben zu gehen.»

Buchhinweis

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Aya Cissoko: «Danbé», Calmann-Levy, 2011.

SRF 1, Sternstunde Philosophie, 2.3.2025, 11:00 Uhr

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