Antonio Costa, wie ist Ihre Bilanz zum Ende der WM?
Die Bilanz ist negativ. Die FIFA und einige Geschäftsleute habe Milliardengewinne gemacht auf Kosten der Bevölkerung. Die brasilianische Regierung hat – entgegen ihrem Versprechen – Milliarden an Steuergeldern in den Anlass investiert. Geld, das fehlt, um die minimalen Bedürfnisse der Bevölkerung zum Beispiel nach anständigen Schulen oder Spitälern zu befriedigen. Die arme Bevölkerung hatte nicht einmal die Möglichkeit, die Spiele im Stadion zu sehen. Sie hat den Organisatoren einzig als pittoreske Kulisse gedient.
Aber immerhin haben Millionen von Brasilianern vier Wochen mitgefiebert.
Die allermeisten Brasilianer sind grosse Fussballfans. Aber sie können gut zwischen der Begeisterung für die Nationalmannschaft und der Kritik an der FIFA und der brasilianischen Regierung unterscheiden. Die Fussballweltmeisterschaft war der Moment zu feiern und zu verdrängen. Aber die Leute sind nicht blind für das viele Unrecht, welches in Zusammenhang mit der Fussballweltmeisterschaft geschehen ist. Und die Fussballweltmeisterschaft hat die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Regierung weiter verstärkt. Es wird neue Proteste geben.
Das Ausbleiben der angekündigten Grossdemonstrationen hat FIFA-Präsident Blatter zur Frage veranlasst: «Wo ist sie denn geblieben – die soziale Unzufriedenheit.»
Die Bemerkung macht uns sprachlos und trägt zum katastrophalen Image der FIFAin der Bevölkerung bei. Während auf der schillernden Oberfläche Brasiliens jetzt vier Wochen lang das FIFA-Fest inszeniert wurde, ging unter der Oberfläche zum Beispiel hier in Rio der Krieg in den Favelas zwischen den Drogenkartellen und der Polizei weiter.
Allein in den vergangenen sieben Jahren hat dieser Stadtkrieg 45'000 Menschen das Leben gekostet. Millionen wurden ausgegeben, um die VIPs der FIFA-Sponsoren und die Fussballfans aus aller Welt zu beschützen, während der Staat unfähig oder nicht Willens ist, die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten.
In zwei Jahren finden in Rio die Olympischen Spiele statt. Welche Lehren muss die brasilianische Regierung aus der Fussball-Weltmeisterschaft 2014 ziehen?
Zunächst sollte sie das politische Bewusstsein der Bevölkerung nicht unterschätzen. Wir sind keine Idioten. Die Bevölkerung wird es nicht einfach hinnehmen, dass erneut öffentliche Gelder verschwendet werden.
Wir verlangen maximale Transparenz, wofür die Steuergelder ausgegeben werden. Wir wollen sicher sein, dass diesmal auch die Bevölkerung von dem internationalen Grossereignis profitieren kann.
Und die Lehren für das Olympische Komitee?
Das Olympische Komitee muss sich bewusst sein, dass ihm das gleiche passieren kann wie jetzt der FIFA: Das Image des Olympischen Bewegung wird schwer beschädigt werden, wenn das IOC seine soziale Verantwortung im Gastland Brasilien nicht wahrnimmt. Speziell die arme Bevölkerung muss miteinbezogen werden.
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Sie muss nicht nur an den Spielen teilnehmen können, sie muss auch mittel- und langfristig ganz direkt davon profitieren, dass die Olympischen Spiele 2016 in Brasilien stattgefunden haben werden.
Wir erwarten, dass das IOC Druck auf die brasilianische Regierung ausübt, die Situation der Millionen von Favela-Bewohner in Rio nachhaltig zu verbessern.
Wir werden schon morgen wieder auf die Strasse gehen, um diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Für uns heisst es: «Nach der Fussball-WM ist vor den Olympischen Spielen.»