Kübra Gümüşay lässt sich schlecht in eine Schubladen einteilen. Sie entspricht nicht den herkömmlichen Klischees: Sie ist Feministin und trägt Kopftuch. Sie ist eine moderne junge Frau und religiös.
Und doch wurde die deutsch-türkische Autorin und Aktivistin ihr Leben lang schubladisiert. Als Muslimin mit Kopftuch wurde sie in eine von zwei Kategorien eingeteilt: Entweder wurde sie zum Opfer des Patriarchats oder dann zur Gefahr für eine liberale Gesellschaft.
Immer im Namen aller
Jahrelang habe sie versucht, gegen die Stereotypen anzukämpfen, schreibt Kübra Gümüşay in ihrem Buch «Sprache und Sein». Doch sie habe gemerkt, dass die Menschen an ihrer persönlichen Meinung gar nicht interessiert waren. Sondern nur daran, was sie vermeintlich im Namen einer Gruppe sagte, zu der sie gehört.
Wenn sie sprach, wurde angenommen, sie spreche im Namen aller Musliminnen, aller Frauen mit Kopftuch, aller Deutschtürkinnen. Dass sie ihr Kopftuch aus spirituellen Gründen trug, wollte niemand hören. Es war, als ob Kübra Gümüşay als Individuum nicht existierte.
Sie begann sich zu fragen: «Was würdest Du tun, denken, schreiben, wenn es keinen Hass, keine Diskriminierung gäbe? Was ist es, was Dich bewegt?»
Eine Frage der Sprache
Die Wurzel des Problems liegt für Kübra Gümüşay in der Sprache. Sie prägt, was wir denken und welche Werte wir vertreten. Wenn wir der Sprache Sorge tragen, wenn wir aufhören, verächtliche Sprache zu benutzen und wenn wir mehrere Perspektiven zulassen, dann – so schreibt Kübra Gümüşay in ihrem Buch – schaffen wir es auch, Hass und Diskriminierung einzudämmen. Und Menschen, die zu einer Minderheit gehören, können sich als Individuen entfalten.
«Erst wenn keine Perspektive mehr über andere Perspektiven herrscht, erst dann können alle Menschen unabhängig von Herkunft, Ethnie, Körper, Religion, Sexualität, Geschlecht, Nationalität frei sprechen. Erst dann werden alle sein», schreibt die Autorin in ihrem Buch.
Einladung zum Nachdenken
Kübra Gümüşays Erzählungen im Buch sind eindrücklich, ihre Überlegungen zur Schubladisierung und zur Rolle der Sprache und der Mehrheitsgesellschaft spannend und gut erzählt.
Doch ihr Lösungsansatz schwächelt. Denn für Kübra Gümüşay scheint klar: Es gibt Sprache, die zulässig ist, und andere, die es nicht ist. Doch genau das – was erlaubt ist und was nicht – ist Teil eines Aushandlungsprozesses. Die Grenzen verschieben sich andauernd. Das zeigt die Diskussion um Political Correctness, die wir seit Jahrzehnten führen.
Trotz dieser Schwäche ist Kübra Gümüşays Buch «Sprache und Sein» unbedingt lesenswert. Denn ihre ganz persönlichen Erfahrungen regen zum Nachdenken an. Über den eigenen Umgang mit Sprache – und darüber, wie wir Menschen einteilen. Dass es hier keine einfache Lösung gibt, gilt es wohl schlicht auszuhalten.
Sendung: SRF 1, Sternstunde Philosophie, 16.02.20, 11:00 Uhr