Seit über 20 Jahren arbeitet Marcel Mettler mit christlichen Sozialwerken. In seinem Verband «Cisa» begleitet er 64 Institutionen christlicher Sozialarbeit in der Schweiz. Das reicht von Suchtberatungsstellen der Heilsarmee über Integrationswerkstätten für Behinderte bis hin zu Tagesstrukturen in freikirchlicher Trägerschaft.
In ihren Einrichtungen hat die «Cisa» Präventionsprogramme etabliert. Sie orientieren sich an den Empfehlungen des weltanschaulich neutralen Vereins «Limita», einer Fachstelle zur Prävention von sexueller Ausbeutung.
Das hat bereits zu mehr gesellschaftlicher Akzeptanz der christlichen Sozialarbeit geführt und damit auch zu staatlichen Aufträgen.
Misstrauen muss überwunden werden
Freikirchliche Angebote müssen immer wieder transparent machen, dass sie Hilfsbedürftige professionell betreuen. Dazu gehört, dass sie Menschen in Krisen vorbehaltslos unterstützen. Auch dann, wenn sie sich nicht zum Christentum «bekehren» wollen. Nur für Professionalität gibt’s Geld von den Kommunen.
Marcel Mettler will, dass sich so viele freikirchliche Gemeinden und christliche Werke wie möglich der neuen Charta gegen Grenzverletzungen anschliessen: «Wir dulden keine sexuelle Ausbeutung, keinen Machtmissbrauch und keine anderen Grenzverletzungen.»
Das steht ganz oben auf dem Vernehmlassungspapier. Es zirkuliert aktuell in christlichen Stiftungen, Freikirchen, Missionswerken und allen Mitgliedern der Schweizerischen Evangelischen Allianz «SEA».
Schluss mit frommem Leistungsdruck
Im Dezember soll die Selbstverpflichtung verabschiedet werden. Noch wichtiger sei, dass daraus eine Kultur der Achtsamkeit im Alltag entstehe, sagt Mit-Initiantin Natascha Bertschinger von der evangelisch-methodistischen Kirche.
Was eine Grenzverletzung ist, das liege nämlich im Empfinden derer, die ihre Grenzen verletzt sehen. Darüber müsse man sprechen, fordert Bertschinger.
Auch der überzeugte Christ Marcel Mettler beklagt, dass Menschen in Krisen noch zu oft unter religiösen Druck gesetzt würden: «Frommer Leistungsdruck widerspricht dem Evangelium, denn die Liebe Gottes ist gratis.»
Der Weg zur toleranten Glaubenskultur
Die Sensibilisierungskampagnen der evangelisch-methodistischen Kirche richten sich darum besonders an Leiterinnen und Leiter. «Ein guter Jugendleiter ist einer, der Räume schafft, in denen Jugendliche sich frei entscheiden lernen», betont die Methodistin Natascha Bertschinger.
Freikirchliche Pastoren befinden sich oft in einer Zwickmühle: Sie sollen das Evangelium leidenschaftlich weitergeben, müssen aber sensibler werden für Grenzen. Doch wann überschreitet christliche Unterweisung die Grenzen persönlicher Entscheidungsfreiheit und Integrität? Darüber werde heftig diskutiert.
Mit einer Charta allein wird es also nicht getan sein. Sie soll lediglich die Basis sein für ein evangelisches Netzwerk gegen Übergriffe, vielleicht sogar für eine Ombudsstelle und schlussendlich für eine tolerantere Glaubenskultur.