Nirgends lässt sich das neue Mit- und Nebeneinander von Äthiopiern und Chinesen besser beobachten, als auf einem Gemüsemarkt mitten in Bole, dem Viertel der Expats und neuen Mittelklasse von Addis Abeba.
«China Market» nennen die Bewohner die Gegend rund um den Gemüsemarkt heute, seit der weitaus grösste Teil der Kundschaft aus China kommt.
Chinesische Küchenchefs als Kunden
Viele Händler begrüssen ihre chinesische Kundschaft mit einem «nĭ hăo» und bedanken sich mit einem «xièxie». Die spärliche Kommunikation dazwischen findet in einem Gemisch aus Chinesisch, Amharisch und Englisch statt. Ein Gemüseverkäufer erzählt, dass seine Kunden vor allem Einkäufer oder Küchenchefs von grossen chinesischen Unternehmen sind.
Rund um die Marktstände ist in den vergangenen Jahren ein kleines Chinatown entstanden. Ein gutes Dutzend chinesische Restaurants findet man hier – und jede Menge kleine Lebensmittelgeschäfte.
Chinesische Schriftzeichen schmücken ihre Schaufenster, in den Eingängen hängen rote Lampions mit goldenen Schriftzeichen.
Paffende Chinesen schlendern mit Plastiksäcken zwischen den Regalen, in welchen sie Produkte von Zuhause wiederfinden: Fisch- und Sojasaucen in allen Variationen, getrocknete Pilze und Reisnudeln.
«Low-end globalization»
Im neuen Chinatown von Addis Abeba zeigt sich, dass längst nicht mehr alle Chinesen im Dienst ihrer Regierung und den mit ihr verbandelten Bauunternehmen in Äthiopien sind.
Hunderte Chinesen haben am «China Market» kleine Geschäfte eröffnet. Sie arbeiten rund um die Uhr und versuchen genügend Geld für ihre Familie und die Pension in der Heimat zu verdienen.
Meist komplett auf sich alleine gestellt, ohne ausgeprägte Beziehungen zu ihren chinesischen Nachbarn oder zu den Äthiopiern in ihrer Umgebung – abgesehen von wenigen chinesisch-äthiopischen Ehepaaren mit gemeinsamen Kindern.
In China ist die Konkurrenz gross geworden. Die Märkte sind gesättigt, die Lebenskosten in den Städten explodieren.
Auf der Suche nach Wohlstand und einem besseren Leben sowie abgehärtet durch die Armut, wanderten viele Chinesen nach Äthiopien aus. «Low-end globalization» nennt dies der Anthropologe Gordon Mathews.
Unterschiedliche Kulturen
Tesfahun Ebsa, ein 33-jähriger Geschäftsinhaber, hat sich den Ladenöffnungszeiten seiner chinesischen Konkurrenz am «China Market» angepasst: von 7 Uhr morgens bis 19 Uhr abends, sechs Tage die Woche. Er hat viele chinesische Stammkunden und kann sich rudimentär mit ihnen in Chinesisch unterhalten.
Eine Chinesin stürmt in Ebsas Geschäft, ohne den Ladenbesitzer zu grüssen. Wie ein Wirbelsturm fegt sie zwischen den Regalen hindurch, will wissen wieviel dies und jenes kostet, befindet den Preis als zu hoch und geht ohne jegliche Verabschiedung wieder hinaus.
Ebsa nimmt es mit Humor. Das sei nicht ungewöhnlich, halt einfach die chinesische Art. «Ich behandle sie mit Respekt, auch wenn sie mir keinen zeigen», sagt er. «Schliesslich verdiene ich gutes Geld mit den Chinesen.»