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Christen im Kommunismus Das Wort Gottes an der Stasi vorbeigeschmuggelt

Mennonit Samuel Gerber aus dem Baselbiet wollte Christen im Kommunismus Trost spenden – per Radio und Briefpost.

«Sie hören ‹Worte des Lebens› – eine Stimme des Friedens und des Trosts in einer unruhigen Welt.» Mit diesem Slogan begrüsste Samuel Gerber die Zuhörenden bis 1992 Woche für Woche zu seiner Radiosendung.

Der Schweizer Theologe und Mennonit hatte eine Mission: Er wollte deutschsprachige Christen jenseits des Eisernen Vorhangs mit biblischer Lehre stärken – mit einem Missionsradio vom Bienenberg bei Liestal (BL).

Mann mit Glatze, Brille und im Anzug sitzt an einem Schreibtisch neben dem Fenster und spricht in eine Diktaphon.
Legende: Samuel Gerber sprach aus Liestal (BL) zu Christen in der ganzen Welt. Sein Ziel: Trost spenden in schwierigen Zeiten. Judith Wipfler, Quelle: «Archiv Mennonitische Radiomission, Bienenberg, BL»

Das Baselbiet in aller Welt

Die Hörerinnen sassen aber nicht nur in der DDR vor ihren Radios, sondern zerstreut in aller Welt: in Dresden und Budapest, in Estland und Kasachstan. Sogar in Uruguay und Paraguay gab es treue Ohren.

Wie viele Tausende, womöglich Hunderttausende es waren, lässt sich nicht beziffern. Sie alle hörten eine biblisch fundierter Ansprache. Eingerahmt war diese Botschaft von einer freundlichen Moderation und christlichen Liedern.

Die Mennoniten in der Schweiz

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Die Schweizer Mennoniten haben ihre Wurzeln in der Reformationszeit vor 500 Jahren. Sie heissen auch Täufer, Wiedertäufer oder Anabaptisten. Denn gegen den christlichen Mainstream taufen sie keine Kinder, sondern nur mündige Erwachsene. Das machte sie gleichsam zur ersten evangelischen Freikirche.

Weil sie als «Friedenskirche» den Dienst an der Waffe verweigern, gerieten Mennoniten immer wieder in Konflikt mit dem Staat. Sie wurden verfolgt, ermordet oder zur Emigration gezwungen, auch aus der Schweiz. In verschiedenen Auswanderungswellen gelangten Täufer/Mennoniten nach Süddeutschland, in die Niederlande wie auch in die Weiten Russlands und Amerikas. Die Amish-People sind ihre prominentesten Verwandten.

Den Namen «Mennoniten» haben sie von einem Theologen aus Friesland: Menno Simons (1496–1561). Heute leben über 2 Millionen Mennoniten auf der ganzen Welt verstreut. In der Schweiz gibt es noch 13 Gemeinden mit aktuell rund 2300 Mitgliedern.

Selbige sangen Nordwestschweizer Laien eigens für diese Sendung ein. So gingen auch die Lieder des mennonitische Gemeindechors «Schänzli» aus Muttenz um die Welt.

Die christliche Viertelstundensendung aus Liestal legte via Kurzwellensender von Radio Luxemburg tausende Kilometer zurück.

Spendengelder und Gratisarbeit

Für den Sendeplatz musste die Mennonitische Radiomission schliesslich über 100'000 Franken an RTL zahlen. Das war in den 80er Jahren enorm viel Geld. Brüder und Schwestern in der Schweiz und Deutschland spendeten es treu.

Man sieht eine Backsteinwand, vor welcher zwei Tische angeordnet sind. An der Backsteinwand hängen viele farbige Plakate und Bilder. Neben den farbigen Plakaten hängt ein grosses Bild mit der Aufschrift "Menschen hören Gottes Wort".
Legende: Mit diesen Plakaten reiste Christian Gerber, der Sohn von Samuel Gerber, durch die Schweiz und durch Deutschland, um Spenden für seine Radiomission zu sammeln. Judith Wipfler, Quelle: «Archiv Mennonitische Radiomission, Bienenberg, BL»

Ihre Arbeit am Missionsradio leisteten die Mennoniten grösstenteils ehrenamtlich. Einen «Moonlight-Job» nennt Christian Gerber, der spätere Leiter, die radiomissionarische Arbeit rückblickend. Sein Vater und er sassen oft bis in den Nachtstunden dran.

Trost für Menschen im Kommunismus

Ermutigt wurden die Radiomacher durch anrührende Zuschriften aus Kasachstan, Ungarn, dem Baltikum und vor allem aus der DDR. Trotz Zensur und Gefährdung durch die Geheimdienste hatte das Radio ein christliches Freundschaftsnetz geknüpft.

«Ihre Sendung gibt uns im Osten das Gefühl, nicht vergessen zu sein», schrieb eine Hörerin damals. Ziel der Sendung «Worte des Lebens» war es, die Menschen im Ostblock mit biblischer Lehre zu stärken.

Die Stasi umgehen

Die Arbeit war vordergründig unpolitisch. Aber allen war klar: Wer diese Sendung aus der Schweiz hört oder die Abschriften der Radiobotschaften las und weitergab, machte sich in der DDR suspekt bis strafbar.

Die einzige vollamtliche Mitarbeiterin, Regina Werner, druckte wöchentlich tausende Freundesbriefe, Bibelkurse und Radiobotschaften ab.

Schwarzweiss Bild: Frau mit Kleid, kurzen Haaren und grosser Brille sitzt an einem Schreibtisch und tütet gerade einen Brief in ein Couvert ein.
Legende: Regina Werner druckte tausende von Briefen und Radiobotschaften, die dann rund um die Welt geschickt wurden. Judith Wipfler, Quelle: «Archiv Mennonitische Radiomission, Bienenberg, BL»

Diese tarnten die Mennoniten als private Briefpost in die DDR. Hunderte Freiwillige adressierten Couverts mit der Hand und gaben sich selbst als Absenderinnen mit Schweizer Wohnadresse an. So hoffte man, keinen Verdacht bei Stasi oder KGB zu wecken.

Mauerfall als Zeichen des Glaubens

Und dann fiel die Mauer. 1989 war Christian Gerber überzeugt, dass die Mauer durch jahrzehntelange Gebete zum Einsturz gebracht worden sei.

Zu Weihnachten schrieb er an die Spenderinnen und Spender: «Mauern sind gefallen – Mauern werden weiter fallen, wenn Menschen im Glauben unterwegs sind.»

Nach 33 Jahren auf Sendung wurden zu Silvester 1992 die letzten «Worte des Lebens» ausgestrahlt.

Chronologie der Mennonitischen Radiomission

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1959 gegründet von Nordamerikanischen Mennoniten in Basel zur Versöhnung und «Mission» im auch moralisch zerstörten Nachkriegseuropa.

1959 Wechsel auf den Bienenberg in die Europäische Bibelschule der Mennoniten; Lehrer und Leiter der Bibelschule werden Sprecher der «Botschaften», etwa Samuel Gerber.

1970 Übernahme einer zweiten Sendung, der «Quelle des Lebens», verantwortet von der Mennonitischen Brüdergemeinde Norddeutschland.

1977 Die Radiomission wird nahezu selbständig, und Christian Gerber gründet einen Trägerverein. Der Fokus liegt jetzt auf Deutschsprachige hinter dem Eisernen Vorhang.

Mitte/Ende 80er Jahre erste Überlegungen, das Werk einzustellen. Die Sendegebühren an RTL belaufen sich nun auf 104'000 Franken

1992 Letzte Sendung zum Jahresende

1993 Regina Werner ordnet das Radioarchiv auf dem Bienenberg

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