- S.H.* engagiert sich für syrische Flüchtlinge. Sie ist Schweizerin, hat aber syrisch-aramäische Wurzeln.
- Die Aramäer gehören zur christlichen Minderheit Syriens. Heute hat sich die Anzahl Christen in Syrien auf die Hälfte reduziert.
- Viele von ihnen stellen sich auf die Seite des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad. Sie glauben, nur er könne sie schützen.
- Diese Haltung kritisiert S.H. Unter al-Assad werde es keinen Frieden geben.
Das Schicksal junger säkularer Syrern
«Hilf mir! Ich will nicht sterben», lauten die SMS, die S.H.* immer wieder von syrischen Freunden aus dem Krieg erhält. «Wer Syrien bis heute nicht verlassen hat, ist entweder desillusioniert, vom IS bedroht oder hat sich selber radikalisiert.»
Das Schicksal von jungen gut ausgebildeten säkularen Syrern, die 2011 für ein neues Syrien auf den Strassen demonstrierten, beschäftigt die Schweizerin mit syrisch-aramäischer Herkunft Tag und Nacht. «Sie hätten viel für ein neues Syrien beitragen können.»
Syrien im Herzen
Wenn S.H. von Syrien spricht, spürt man: Syrien ist eine Herzensangelegenheit. Die Tochter eines aramäischen Syrers und einer aramäischen Türkin engagiert sich für syrische Flüchtlinge, ist in atheistischen Netzwerken aktiv und will religiösen und anderen Minderheiten wie Atheisten und LGBT-Anhängern Gehör verschaffen: «Sie alle sind im Krieg gefährdet.»
Zurzeit studiert S.H. in England Internationales Straf- und Kriegsrecht. Sie träumt davon, eines Tages am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu arbeiten.
Kein Ort zum Bleiben
Das letzte Mal war die bekennende Atheistin 2011 in Syrien für einen Sprachaufenthalt. Sie studierte in Aleppo Arabisch und wohnte bei ihren Verwandten.
Doch ihren Aufenthalt beendete sie frühzeitig, denn schnell wurde klar: Mit dem Ausbruch der Demonstrationen im Süden des Landes braute sich was zusammen, was länger dauern würde. Seither sind sechs Jahre vergangen, und Syrien befindet sich weiterhin im Krieg.
Religiöse Minderheiten
Inzwischen sind auch die Verwandten von S.H. aus Syrien weg. Sie gehören als Aramäer zu der christlichen Minderheit des Landes.
«Aramäer sind nicht nur eine religiöse, sondern auch eine ethnische und sprachliche Minderheit», spezifiziert sie. Ihre Muttersprache ist der neuostaramäische Dialekt Turoyo. «Die Sprache ist vom Aussterben bedroht. Man schätzt, dass sie noch 80’000 Menschen sprechen.»
Schützt Assad die Minderheiten?
In Syrien lebten vor dem Ausbruch des Krieges 1,8 Millionen Christen, die einer Vielzahl unterschiedlicher Kirchen angehören. Heute sind es schätzungsweise noch zwischen 600’000 und 900’000 Christen im Land.
Ein grosser Teil von ihnen unterstützt bis heute den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, der selbst einer religiösen Minderheit angehört. Sie glauben, dass nur er sie als Minderheit weiterhin schützen könne. Die Machtübernahme durch islamistische Kräfte hingegen würde das Ende Christentums in der Region bedeuten.
Religiöse Unterschiede dominieren den Krieg
Aber es gibt auch jene, die gegen das syrische Regime kämpfen. Die weiterhin von einem demokratischen und freiheitlichen Syrien träumen. Zu ihnen zählen Intellektuelle und junge Menschen.
Auch S.H. war für die Revolution. «Wie viele andere habe ich mich getäuscht. Ich dachte, der syrische Patriotismus würde die Menschen antreiben. Stattdessen dominieren heute die religiösen Unterschiede den Krieg.»
Kein Diktator bleibt ewig
S.H. kritisiert die pragmatische loyale Haltung der östlichen Kirchenoberhäupter gegenüber der syrischen Regierung. «Unter Baschar al-Assad wird es keinen Frieden geben», ist S.H. überzeugt. «Und die Co-Existenz der Religion in Syrien, wie wir es vor 2011 gekannt haben, wird in Zukunft unmöglich sein.»
S.H. meint, die Kirchenleitungen hätten vorsichtiger sein sollen. Der Blick in die Zukunft fehle: «Es ist blind zu denken, Assad biete Schutz.» Kein Diktator bleibe ewig. «Und wenn Baschar al-Assad in fünf oder zehn Jahren gestürzt wird, dann werden wir Minderheiten als Verräter dastehen, weil wir uns auf seine Seite geschlagen haben.»
* Name der Redaktion bekannt