Fliegen schadet dem Klima. Das weiss ich. Autofahren auch. Ist mir klar. Aber im Netz surfen, Fotos posten, Filme streamen?
Ich hatte mir darüber nicht viel Gedanken gemacht – bis ich Schlagzeilen las wie «Streaming ist das neue Fliegen» oder «‹Als Internetnutzer tragen wir unabsichtlich zur Umweltzerstörung bei›».
Mein Alltag im Netz
Das verunsichert, schliesslich findet ein grosser Teil meines Alltags online statt. Nicht nur bei der Arbeit als Journalistin, auch privat: News lesen, mit Freunden chatten, Videos schauen – nichts geht ohne Internet.
Ich will Klarheit über meinen ökologischen Online-Fussabdruck und beginne nach Antworten zu suchen. Im Netz, natürlich. Doch schon hier fängt es an: Wie viele Treibhausgase verursacht eine Google-Suche? Ich lese von 7,2 oder 0,2 Gramm CO2.
CO2-Ausstoss einer Google-Suche
Widersprüchliche Zahlen, mit denen ich nichts anfangen kann. Darum rufe ich Vlad Coroamă an. Er forscht an der ETH Zürich zu Informatik und Nachhaltigkeit und befasst sich seit mehr als zehn Jahren mit dem Thema.
SRF: Wie viel CO2 verursacht eine Suchanfrage? Und: Schadet das dem Klima?
Vlad Coroamă: Ein Harvard-Forscher behauptete 2009, eine Google-Suche verursache 7 Gramm CO2 . Das war schon damals übertrieben. Google selbst sprach von 0,2 Gramm. Das war vor 10 Jahren. Seither ist die Effizienz um 15 bis 20 Prozent gestiegen – pro Jahr. Deshalb: Eine Suchanfrage kostet kaum Energie. Man kann gerne googeln, so viel man will.
WWW kommt nicht aus der Wolke
Ich kann also halbwegs beruhigt das Internet weiter durchforsten. Mir wird bewusst: Das World Wide Web kommt nicht aus einer Wolke – auch wenn es dank drahtloser Technik so aussieht. Dahinter stecken Kabelnetze, Funkantennen, Datenzentren. Das alles braucht Energie.
Nicht nur meine Endgeräte wie Laptop, Fernseher und Modem fressen Strom. Sondern auch die Netze, welche die Daten transportieren und die Server, auf denen die Daten lagern. Nicht nur im Betrieb, sondern auch bei der Herstellung der Geräte.
Da kommt einiges zusammen. In einem Bericht stellt die Umweltorganisation Greenpeace fest: Wäre das Internet ein Land, wäre es bezüglich Stromverbrauch weltweit auf Platz 3.
Wo entsteht das CO2?
Weil global mehr als die Hälfte der Elektrizität aus fossilen Quellen wie Kohle oder Erdgas stammt, entsteht durch den Stromverbrauch auch klimaschädliches CO2.
Etwa 1,5 Prozent der weltweiten Treibhausgase sind laut ETH-Forscher Vlad Coroamă auf die Digitalisierung zurückzuführen. Wobei Digitalisierung mehr ist als nur das Internet. Dazu zählen auch nicht ans Netz angeschlossene Bank-Server oder das energiehungrige Bitcoin-Mining.
CO2-armer Schweizer Strommix
Der Schweizer Strom aus meiner Steckdose verursacht kaum Treibhausgase, weil er grösstenteils aus Wasser- und Kernkraft stammt.
SRF: Meine Endgeräte laufen also praktisch CO2-frei. Aber wie ist es mit dem Strom, den die Daten auf dem Weg zu mir benötigen?
Vlad Coroamă: Natürlich laufen die Endgeräte hier mit CO2-armem Schweizer Strom. Ein Teil der Netze auch. Die Frage ist: Woher kommen die Daten? Was viel angeklickt wird, ist tatsächlich oft lokal in Schweizer Rechenzentren gespeichert: Sei es das letzte Microsoft-Software-Update, eine populäre Netflix-Serie oder ‹Gangnam Style› auf YouTube.
Der Nutzer weiss nie, woher genau die Daten kommen.
Für die Internetprovider lohnt es sich nämlich nicht, diese Daten jedes Mal von weit herzuholen. Wenn ich eher unpopuläre Inhalte anschaue, ist es anders. Woher die Daten kommen, kann der Nutzer jedoch letztlich nicht wissen. Kommen sie von lokalen Servern, wird auch da nur CO2-armer Schweizer Strom verbraucht.
Wenn ich hierzulande surfe, ist also oft auch der Strom für den ganzen Datentransport CO2-arm. Habe ich als Userin in der Schweiz also kaum Einfluss auf den Treibhausgas-Ausstoss des Internets?
Nun ja: Energie sparen ist natürlich immer gut, auch wenn es CO2-freie Energie ist. Denn die Schweiz kann diesen Strom vielleicht exportieren. Dann wird anderenorts weniger Kohlestrom verbraucht.
Alte Geräte ersetzen oder nicht?
Es ist also nicht egal, wie viel Strom ich verbrauche. Bei diesem Gedanken macht mir mein altes Handy Sorgen. Es heisst doch, unsere Elektrogeräte werden von Jahr zu Jahr sparsamer.
SRF: Mein Smartphone-Modell ist gut 6 Jahre alt – wäre ich mit einem neueren nicht stromsparender und klimafreundlicher unterwegs?
Vlad Coroamă: Nein – allerdings, weil es ein Smartphone ist. Die Produktion eines neuen Smartphones braucht ungleich viel mehr Energie, als was das Gerät über seine ganze Lebenszeit an der Steckdose verbraucht.
Die Herstellung eines neuen Smartphones braucht unglaublich viel Energie.
Bei grösseren Geräten wie Fernsehern ist es anders. Dort lohnt es sich wahrscheinlich früher, ein altes durch ein neues, deutlich energieeffizienteres zu ersetzen. Bei den Smartphones und Tablets: Nagen Sie so viel an den alten, wie Sie können. Das ist ziemlich sicher besser als ein neues produzieren zu lassen, auch wenn dieses ein bisschen effizienter ist.
Mehr Daten, mehr Strom
Schade – hatte ich doch gehofft, einen Grund gefunden zu haben, das Ding zu ersetzen. Aber eben: Die Produktion unserer elektronischen Gadgets ist sehr energieintensiv.
Auch Daten brauchen auf ihrer Reise durchs Netz viel Energie. Je grösser die Datenmenge, desto höher der Stromverbrauch: Audios fressen weniger als Videos. Videos in HD-Auflösung weniger als in 4K.
Video-Streaming versus DVD
Etwa 75 Prozent des weltweiten Datenverkehrs geht heute auf Videos zurück. Video-Streaming wurde darum schon als Klimakiller verurteilt. Trotzdem:
SRF: Wenn ich an die DVDs von früher denke, die Fahrten zum Videoverleih: Im Vergleich dazu muss Streaming doch viel besser sein. Oder, Herr Coroamă?
Vlad Coroamă: Tatsächlich ist Streamen energetisch 50- bis 100-mal günstiger als eine DVD – Produktion, Transport und ein Anteil meines Weges, um die DVD abzuholen, eingerechnet.
Nun spielen aber sogenannte Rebound-Effekte eine grosse Rolle: Früher hat eine DVD 30 Franken gekostet, und ich musste sie kaufen gehen. Heute muss ich nur den Fernseher einschalten und der Film ist im Abo enthalten. Es ist viel einfacher und günstiger, also konsumiere ich deutlich mehr.
Es geht sogar so weit, dass ich Energie verbrauche, ohne wirklich zu konsumieren. Zum Beispiel – und das mache sogar ich, obwohl ich in dem Gebiet forsche und es eigentlich besser wissen müsste: Der Einfachheit halber höre ich mir Musik über YouTube an. Dann werden Videodaten gesendet, obwohl ich mich nur für den Ton interessiere. Das wäre nur ein Zehntel der Datenmenge im Vergleich zum Video.
Weil es heute viel günstiger ist, streame ich mehr – und verbrauche so mehr Energie.
Streamen ist also pro Minute Video in der Tat effizienter als eine DVD. Aber es wird viel mehr geschaut. Deshalb ist die Gesamtbilanz unklar und insgesamt wahrscheinlich eher schlechter geworden.
Der technologische Fortschritt hat Video- Schauen nicht nur energetisch effizienter gemacht, sondern auch billiger und einfacher. Die Folge: Wir konsumieren mehr. Unter dem Strich sinkt der Gesamtenergieverbrauch deshalb kaum. Das ist der Rebound-Effekt.
Keine einfache Antwort
Daten, die aus der Ferne oder aus der Nähe zu mir kommen. Stromsparende Geräte, deren Herstellung viel Energie verbraucht. Rebound-Effekte, die Effizienzgewinne zunichtemachen:
Die Wissenschaft hat auf meine Frage nach dem ökologischen Fussabdruck im Netz keine einfache Antwort. Aber vielleicht die Umweltverbände? Ich frage Georg Klingler, Leiter der Klimakampagne bei Greenpeace Schweiz.
SRF: Wie gross ist das Problem unseres Internetkonsums fürs Klima?
Georg Klingler: Die Klimaemissionen des Internets kommen zum grossen Teil aus der immer noch weitverbreiteten Stromproduktion mit Kohle. Die Lösung für das Problem ist bekannt, und immer mehr Anbieter setzen auf erneuerbaren Strom.
Zudem gibt es auch digitale Anwendungen mit Klimanutzen, wenn etwa zu Hause gearbeitet statt gependelt oder sogar geflogen wird.
Für die Lösung unserer Klimaprobleme würde ich darum nicht primär auf das Internet fokussieren. Beim Fliegen habe ich viel mehr Sorgen. Erstens, weil global erst wenige Menschen überhaupt fliegen, also wenige verhältnismässig viel Schäden verursachen.
Und zweitens gibt es noch keine Lösungen für ein klimafreundliches Wachstum – wie das beim Internet der Fall ist.
Ich würde also nicht massiv klimafreundlicher leben, wenn ich weniger streame?
Wenn es darum geht, was ich als Konsument fürs Klima tun kann, sage ich: ‹Ernähre dich pflanzlich und verzichte aufs Fliegen sowie den Verbrennungsmotor.› Das sind die wichtigsten Bereiche.
Für die Lösung unserer Klimaprobleme soll man primär aufs Fliegen und tierische Produkte verzichten.
Einmal pro Woche weniger zu streamen, hat aus meiner Sicht – verglichen mit anderen Massnahmen – einen sehr geringen Effekt.
Ein gesellschaftliches Problem?
Die Klimabelastung, die ich als einzelne Userin verursache, ist also eher klein. Da aber immer mehr Menschen immer mehr Daten umherschicken, könnte es für die Gesellschaft als Ganzes doch ein Problem sein. Oder zu einem werden.
Ich frage mich, ob sich die Politik damit beschäftigt und rufe Matthias Stürmer an. Der EVP-Politiker ist Geschäftsleiter der Parlamentarischen Gruppe Digitale Nachhaltigkeit («Parldigi») und leitet die Forschungsstelle Digitale Nachhaltigkeit an der Universität Bern.
SRF: Sind Energieverbrauch und Klimabelastung des Internets in der Schweizer Politik ein Thema?
Matthias Stürmer: Es gab in der Vergangenheit einzelne Vorstösse im Parlament, die sich mit Digitalisierung und Strom beschäftigten.
Die Klimabelastung des Internets ist ein Randthema in der Schweizer Politik.
Es ist aber ein Randthema. In der Parldigi-Gruppe haben wir uns auch noch nie explizit mit dem Thema beschäftigt, werden das in Zukunft aber tun.
Optimismus dank erneuerbarer Energien
Die Klimawirkung des Internets ist für Greenpeace und Politik also nicht das grösste Problem, das es zu lösen gilt. Wohl auch, weil man hofft, dass das World Wide Web mit Strom aus erneuerbaren Quellen künftig immer grüner wird.
Solange aber noch Kohlestrom im Einsatz ist, heisst surfen auch CO2 ausstossen. Allerdings viel weniger als bei vielen anderen Aktivitäten.
Kein Klimakiller, aber …
Für mich ist nun klar: Das Internet ist nicht DER Klimakiller. Aber es braucht Energie – und zwar mehr, als mir bewusst war.
So frisst auch das Lesen dieses Artikels Strom. Im Schnitt dürften es etwa zwei Wattstunden sein, wie Vlad Coroamă für mich ausgerechnet hat. Ein Vergleich: Statistisch verbraucht ein Schweizer in den etwa 8 Minuten, die es dauert, diesen Artikel zu lesen, im Schnitt 100 Wattstunden Strom.
Zwei Wattstunden sind also wenig. Sehr wenig. Aber es ist eben auch nicht nichts.