Corona-Leugner und Judenhass: Im Internet werden gemäss des heute publizierten Antisemitismusberichts des Schweizerischen Israelistischen Gemeindebunds zunehmend antisemitische Verschwörungstheorien laut.
Den deutschen Kulturwissenschaftler Mathias Berek wundert das wenig.
SRF: Wie heute gab es schon im deutschen Kaiserreich um 1870 Antisemitismus unter den ersten Impfgegnern. Erstaunt?
Mathias Berek: Nein. Antisemitismus äussert sich heute zwar anders und ist weniger geworden. Aber er ist nie wirklich verschwunden.
Dass es in der impfkritischen Bewegung auch Antisemitismus gibt, wundert mich deshalb nicht. Es gibt in beiden Gruppierungen personelle und inhaltliche Überschneidungen.
Einige unter ihnen glauben daran, dass alles von geheimen Mächten in Hinterzimmern ausgehandelt wird.
Wo finden sich die Verbindungen zwischen Impfgegnern und Antisemitismus?
Schon im Deutschen Kaiserreich war es so, dass bekennende und organisierte Antisemiten sich impfkritisch geäussert haben oder sogar hohe Funktionäre Teil der impfkritischen Bewegung waren.
Wichtiger sind die inhaltlichen Überschneidungen. Impfkritiker und Antisemiten glauben daran, dass alles von geheimen Mächten in Hinterzimmern ausgehandelt wird, um dann verschiedene bösartige Ziele zu verfolgen.
Sie erschaffen sich eine Wirklichkeit, um mit der erdrückenden wissenschaftlichen Evidenz zurechtzukommen, die für die Impfung spricht.
Der Antisemitismus ist also immer da und braucht nur einen Trigger wie die Coronakrise, um an die Oberfläche zu kommen?
Genau. So eine Situation geht oft mit erhöhter Verunsicherung und mit einer Radikalisierung von politischen Bewegungen einher. Dadurch sinken die Hemmungen gegenüber dem, was man öffentlich antisemitisch sagen kann.
Ist die Gesellschaft diesem latent vorhandenen Antisemitismus gegenüber machtlos?
Auf keinen Fall. Es gibt eine Menge Forschung und viel ausgezeichnete Arbeit, die in Sachen Antisemitismus-Bekämpfung bisher geleistet wurde. Wir haben es seit Jahrzehnten mit denselben Problemen zu tun.
Wir müssen den Antisemitismus als gesamtgesellschaftliches Problem begreifen und bekämpfen.
Welche Probleme sind das?
Das grösste Problem ist, dass Antisemitismus gerne immer auf die anderen geschoben wird. Antisemitisch sind immer die anderen.
Es wird geleugnet, dass Antisemitismus in allen Teilen der Gesellschaft vorkommt, wenn auch in unterschiedlichem Ausmass. Wir müssen Antisemitismus also als ein gesamtgesellschaftliches Problem begreifen und bekämpfen.
Wird Antisemitismus irgendwann Geschichte sein?
Ich glaube nicht, dass er irgendwann komplett verschwinden wird. Es wird immer genügend Leute geben, die daraus einen Nutzen ziehen.
Aber wir sollten die Zuversicht haben nicht verlieren. Denn selbst wenn Antisemitismus niemals ganz ausgerottet sein wird, können wir eine Menge unternehmen, um ihn so weit wie möglich zu verdrängen.
Das Gespräch führte Vanda Dürring.