An fehlender Ausbildung und Qualifikation liegt es nicht, dass Frauen in den Chefetagen der grössten Schweizer Unternehmen kaum vertreten sind. Davon ist die politische Philosophin und ehemalige Vizechefin von Avenir Suisse, Katja Gentinetta, überzeugt. «Ich glaube, es gibt mehr Frauen, die bereit wären, das zu machen, wenn sie im entscheidenden Moment die Unterstützung hätten».
Katja Gentinetta ist eine der Frauen, die ihre Meinung geändert haben. Früher sprach sie sich gegen fixe Geschlechterquoten aus. Auch heute noch steht Unternehmensfreiheit für sie ganz oben. Aber sie hält es für naiv, weiter an freiwillige Programme und Projekte zu glauben: «Ich kann mir gut eine Art ‹Anschubquote› vorstellen. Man macht das eine Zeitlang, bis sich das Bild verändert, bis es eine Selbstverständlichkeit wird».
Auch Unternehmerin Rosmarie Michel glaubt heute nicht mehr, dass es ohne Quoten geht. Die ehemalige Verwaltungsrätin von grossen Unternehmen wie Valora oder Credit Suisse plädiert ebenfalls für Quoten auf Zeit.
«Männer sind verunsichert»
Rosmarie Michel ist 80 Jahre alt und heute noch gern gesehene Referentin bei Wirtschaftsanlässen. Einen Grund für die Schwierigkeit der Frauen auf dem Weg in die Toppositionen ortet sie bei den männlichen Netzwerken. Aber sie beobachtet auch heute noch Unbeweglichkeit und Verunsicherung bei den Männern: «In den obersten Gremien gibt es immer noch Leute, die Angst haben vor dem Wagnis, eine Frau reinzunehmen. Sie können sich nicht vorstellen, dass man einen anderen Arbeitsablauf haben könnte, dass man eine andere Struktur haben könnte, dass jemand mit einer total anderen Meinung kommen könnte».
Zudem spiele auch Voreingenommenheit nach wie vor eine Rolle, ist Katja Gentinetta überzeugt: «Wenn ein Headhunter inmitten einer Gruppe potentieller Verwaltungsrätinnen sitzt und sich darüber beklagt, dass er ja Frauen suche, aber keine finde, dann spult er einfach eine längst verinnerlichte Leier ab». Gegen die Frauen arbeite aber auch der härtere Wettbewerb. Die Posten ganz oben seien limitiert. Dementsprechend gering sei auch das Interesse, noch mehr Anwärter ins Spiel zu bringen.
Gemischte Teams sind profitabler
Liberale Frauen wie Katja Gentinetta oder Rosmarie Michel berufen sich auf Studien von McKinsey oder Credit Suisse. Diese zeigen, dass gemischt-geschlechtliche Gruppen von Verwaltungsräten und Geschäftsleitungen einen positiven Effekt auf das Geschäftsresultat haben. Wie übrigens auch eine Durchmischung von Generationen und Kulturen, fügt Rosmarie Michel an. «Es ist profitabler», sagt die Wirtschaftsfrau trocken.
In eine ähnliche Richtung argumentiert Ursula Keller. Die Physik-Professorin an der ETH Zürich war als junge Frau überzeugt, sie brauche nur gute Leistungen auszuweisen und der Erfolg würde eintreten. Doch dann erfuhr sie, dass sie ausser fachlichem Topniveau noch vieles andere zusätzlich mitbringen musste - zum Beispiel eine ausgesprochene Kämpfernatur. Aber die könne man nicht von allen Frauen erwarten, so Keller. Deshalb tritt sie heute für Geschlechterquoten ein.
Keine Angst vor Quotenfrauen
Kritiker der Quote führen an, es sei unmöglich, genügend geeignete Frauen für anspruchsvolle Positionen zu finden. Da bestehe die Gefahr, dass die Qualität eines Gremiums leide. «Wir wollen nur Frauen in Toppositionen, die die Leistung bringen», sagt Ursula Keller. Alles andere sei eine Beleidigung der Frauen und schade der Sache.
Aber Ursula Keller ist überzeugt, dass es sie gibt. Und bei der weitverbreiteten Angst, den Stempel der Quotenfrau zu tragen, rät sie zu Gelassenheit. Lachend meint sie: «Ich bin schon als Quotenfrau behandelt worden, als es weit und breit keine Quoten gab. Eine Frau unter vielen Männer zu sein, ob mit oder ohne Quote, das macht keinen Unterschied. Ein roter inmitten einer Schar von schwarzen oder weissen Vögeln ist man eh».