Das Wichtigste in Kürze:
- Die Technologie als Weg der Selbstverwirklichung: Dieser Paradigmenwechsel keimte mit den Hippie-Kommunen auf.
- Auch wenn kaum eine der Kommunen überlebte – das kulturelle Erbe der Hippies setzte sich durch.
- Die Idee des vernetzten Bewusstseins schuf letztendlich neue Abhängigkeiten.
«Die Hippies wollten den Traum eines vernetzten Bewusstseins verwirklichen», sagt Kulturhistoriker Fred Turner, «eine Welt, in der LSD das Bewusstsein erweitert und Menschen virtuell miteinander verbindet. Dieser Traum lebt in der Welt der Technologie weiter. Die Ideale der Hippies wurden zur Blaupause unserer Netzwerkgesellschaft. Der Welt der Social Media. Einer Welt, die durch Technologie verbunden ist und in der demokratische Institutionen keinen Platz mehr finden sollten.»
Haight Ashbury, ein Stadtviertel in San Francisco: 1967, vor genau 50 Jahren, zieht es Zehntausende Hippies hierhin. Doch die meisten von ihnen erleben den sogenannten Summer of Love als Einbahnstrasse in die Isolation. Es folgt der Exodus aufs Land. Frei sein in Gemeinschaft – diesen Traum suchen zwischen 1966 und 1973 Millionen von US-Amerikanern in Hippie-Kommunen auf dem Land.
Grenzen auflösen
Bewusstseinswandel statt Politik – darauf bauen diese alternativen Gesellschaften auf. Eine ganze Generation wird von dieser Bewegung geprägt. «Wir teilten alle eine Vision einer anderen Wirklichkeit», sagt der Schriftsteller und «Trips Festival»-Organisator Ramon Sender.
«Diese Realität war einfach besser als die, die uns von den Strukturen der Macht aufgedrückt wurde. Psychedelische Drogen halfen dabei, die Grenzen zwischen ‹Normalzustand› und anderen Bewusstseinszuständen aufzulösen. Man merkte auf einmal, dass man sich von einer verengten Wahrnehmung befreien konnte und sich dadurch unendlich viele Perspektiven eröffneten.»
Drogen auf der «Morning Star Ranch»
Ramon Sender lebte insgesamt sieben Jahre lang in zwei Hippie-Kommunen in Kalifornien, zunächst auf der «Morning Star Ranch». Heute ist der Schriftsteller 80 Jahre alt. Sender sagt, dass es keinen Ort gab, an dem mehr Drogen per Quadratmeter konsumiert wurden als in der «Morning Star Ranch».
Immer wieder gab es Masseneinnahmen der Drogen. LSD wurde für die Hippies auf den Landkommunen zum Werkzeug der Bewusstseinsveränderung. Für alle anderen Werkzeuge, die man für ein autonomes Leben auf dem Land benötigte, gab es den «Whole Earth Catalog».
Der Hippie und Technikvisionär Stewart Brand hatte den Katalog 1968 gegründet. Durch den «Whole Earth Catalog» entfachte er bei den naturliebenden Hippies eine Begeisterung für die Technik. Auf dem Cover: das erste Bild der Erde, das aus dem Weltall aufgenommen worden war. «Access to tools» – «Zugang zu Werkzeugen» – so der Slogan des Katalogs.
Google des Prä-Internet-Zeitalter
Im «Whole Earth Catalog» gab es auch die ersten Personal Computer – den Begriff hatte Stewart Brand erfunden – und zu diesem Zeitpunkt kostete so einer noch an die 5000 US-Dollar. Denn der Katalog bot Waren an. Zudem konnten sich die Kommunen miteinander vernetzen und Rezensionen zu Waren schreiben. Eine Art gedrucktes Google des Prä-Internet-Zeitalter für die Hippies der Landkommunen. «Apple»-Gründer Steve Jobs bezeichnete den Katalog einmal als «Bibel der Gegenkultur».
«Die Hippies trieben die Konsumwelt der 1950er und 1960er weiter voran und bezogen sich dabei auf utopische Technik-Visionen dieser Zeit», sagt Kulturhistoriker Fred Turner. «Nur führten sie diese in einer Art Theater der persönlichen Selbstentwicklung weiter. Auf einmal ging es darum, sich selbst zu verwirklichen. Zusammenzuarbeiten. Mit neuen Technologien einen neuen Menschen zu schaffen. Fast so wie die Wissenschaftler der NASA damit begonnen hatten, den Menschen auf den Mond zu schicken.»
Doppelmoral der Kommunen
Werkzeuge als Mittel der Selbstverwirklichung – dieses kulturelle Erbe der Hippies setzt sich langfristig durch. Doch das Leben fernab konventioneller Regeln und demokratischer Institutionen scheitert: Immer wieder geraten die Hippies mit der Welt, die sie umgibt aneinander. Kaum eine der Kommunen überlebt.
Sie wollten den Bewusstseinswandel, doch fielen in der Praxis zurück auf das Bewusstsein der Welt der US-amerikanischen Vorstädte. «Die Kommunen, die ich untersucht habe, zeichneten sich vor allem durch ihre Doppelmoral aus», sagt Stanford-Professor Fred Turner, der zur kalifornischen Gegenkultur forscht.
«Die Geschlechterrollen waren sehr rigide. Die Männer hatten das Sagen und die Frauen bekamen Kinder und kümmerten sich ums Essen. Sie waren ausschliesslich weiss. Da sie jedoch keine Regeln hatten, flüchteten sich viele der Kommunarden in eine Welt der Stereotype. Sie begannen sich auf die Normen der Vorstädte zu verlassen, aus denen sie kamen. So reproduzierten sie mit den Kommunen die Vorstädte mit all ihren Vorurteilen.»
Der PC als Weg zur Selbstbefreiung
Der Traum eines alternativen Lebens scheint ausgeträumt, als Ronald Reagan 1981 zum US-Präsident gewählt wird. Die ehemaligen Hippies fragen sich, was aus ihrer Revolution geworden ist.
1984 bringt Stewart Brand an einer Konferenz Hippies mit Hackern zusammen. Wie einst LSD wird nun der Personal Computer als Technologie der Selbstbefreiung gefeiert. In der Technologie sehen die Hippies einen Weg, ihren Ideen doch noch zum Durchbruch zu verhelfen.
Eine Zeitmaschine soll es werden
«LSD eröffnet einem neu Möglichkeiten», so Ex-Hippie und Computervisionär Howard Rheingold. «Der Personal Computer zeigte mir, dass es eine Möglichkeit gab, Werkzeuge zu nutzen, die ursprünglich dem Militär und der Wissenschaft vorbehalten waren.»
Rheingold lebt in Mill Valley, Kalifornien. Schon in den 1990er-Jahren hat er den Begriff «virtuelle Gemeinschaft» erfunden und damit die Social-Media-Welt vorweggenommen. Heute ist er 69 Jahre alt.
Jeden Samstag trifft sich Rheingold mit Ingenieuren und Startup-Gründer in seinem Garten. Ein Paralleluniversum. Sie nennen sich das «Pataphysische Studio». Eine Art Dada-Kunstgruppe. Momentan arbeiten sie an einer Zeitmaschine.
«Bei uns lebt der Spirit der Hippies weiter», sagt er. «Wir wollen autonom sein, alles selber erschaffen. Warum also nicht an einer Zeitmaschine arbeiten. Es geht darum, Zugang zu Werkzeugen zu bekommen. Und die Werkzeuge, über die wir heute verfügen, sind um einiges mächtiger als in den 1960er-Jahren.»
Die WG der Tech-Elite von morgen
Mit Technologie die Welt zu einem besseren Ort machen – im Silicon Valley ist dieser Geist der Hippies omnipräsent. In der Rainbow-Villa in Mountain View – nur einen Katzensprung vom «Google»-Hauptquartier entfernt – lebt die Tech-Elite von morgen unter einem Dach: eine moderne Kommune mit acht Mitbewohnern. Alle arbeiten für Technologie-Firmen aus dem Silicon Valley.
Jeden Sonntag laden sie zum Community-Dinner, meist folgt noch ein Tech-Talk. Die jungen Wissenschaftler und Ingenieure – alle aus den Ivy-League-Universitäten des Landes – sind freundlich, aber skeptisch gegenüber den Medien.
Einer der Bewohner des Hauses möchte zwar interviewt werden, doch den Namen der Suchmaschine, für die er arbeitet, darf nicht genannt werden. Er entwickelt Hardware für Virtual-Reality-Brillen.
«Technologie ist nur ein Werkzeug»
Über die Folgen von Technik macht er sich keine Gedanken. Manche seiner Mitbewohner würden daran arbeiten, das Weltall zu kolonisieren und damit die Welt zu verändern. Doch er möchte einfach nur cooles Zeug kreieren, sagt er.
«Technologie ist nur ein Werkzeug», ist er überzeugt. «Man kann sich darüber den Kopf zerbrechen, welche Konsequenzen sie hat, doch eigentlich ist das vergebene Liebesmühe.»
Die Welt wird nicht besser
«Die Hoffnung, dass man allein mit einem technologischen Wandel die Welt verbessern kann, ist einfach naiv», sagt Kulturhistoriker Fred Turner. «Ich denke, dass wir uns über die sozialen Konsequenzen dieser Technologie klar werden müssen und dass wir Technik benötigen, die auch sozial von Bedeutung ist.»
Das Silicon Valley hat von den Hippies die Aura der Weltverbesserer geerbt. Change the world – dieser Slogan täuscht heute mehr denn je. Die Macher des Silcon Valleys orientieren sich primär am eigenen Fortschrittsglauben und nicht an den Problemen einer Welt ausserhalb ihrer exklusiven Gemeinschaft – und genau dieses Denken teilt die Technologiebranche von heute mit den Hippies von gestern.
50 Jahre nach dem «Summer of Love» tritt das Vermächtnis der Hippies deutlicher zu Tage als je zuvor. Der kalifornische Traum eines vernetzten Bewusstseins hat uns nicht befreit, sondern aus unsern geheimsten Wünschen bare Münze für Big-Data Konzerne gemacht. Und das ist paradoxerweise das eigentliche Erbe der Hippies.
Dieser Artikel erschien ursprünglich bei 3sat.de, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen.