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Blick durch einen Maschendrahtzaun auf eine Demonstration mit Fahnen.
Legende: Für Gesundheit, Naturschutz und Frieden: Die militärische Sendeanlage auf Niscemi bereitet vielen Organisationen Sorgen. Imago/ZUMA Press

David gegen Goliath Eine sizilianische Stadt kämpft gegen Militär-Antennen

Auf Sizilien protestieren Einwohner seit Jahren gegen Hochleistungs-Antennen der US-Armee. Daraus entstand eine grosse Friedensbewegung, die von Naturschützern und Anti-Mafia-Organisationen unterstützt wird.

  • Die US-Armee hat auf Sizilien eine Sendeanlage für ein neues Satellitenkommunikationssystem der Navy gebaut.
  • Die Einwohner protestierten schon vor dem Bau gegen die Antenne des neuen Kommunikationssystems – sie fürchten, diese könnten gesundheitsschädigend sein.
  • Aus dem anfänglichen Protest entstand eine grosse Bewegung, die nun auch von anderen Organisationen unterstützt wird.

«Das MUOS ist ein Todesinstrument»

Anfangs steht nur ein kleiner Pulk an einer Strassenkreuzung im sizilianischen Niscemi. Über den Köpfen und vor den Bäuchen selbstgemachte Transparente. Doch dann wird aus dem Pulk ein Demonstrationszug, der Richtung Stadtzentrum zieht.

Die Demonstranten legen den Verkehr lahm, pfeifen und schwenken Fahnen: rote, regenbogenfarbige und weisse Fahnen, auf denen eine durchgestrichene Satellitenschüssel prangt. Darauf die Aufschrift: «No MUOS».

Viele Demonstranten sind aus anderen Städten Siziliens angereist. Zum Beispiel Alessio, ein Jura-Student aus Catania. «Wir wollen keine Militärstützpunkte auf Sizilien», sagt er. «Das MUOS ist ein Todesinstrument. Und laut der italienischen Verfassung lehnt Italien den Krieg ab. Wir können also kein Kriegswerkzeug auf unserem Territorium dulden. Wir wollen keine Komplizen der Kriege sein, die die USA rund um den Globus führen.»

Störungsfreie Kriegskommunikation

MUOS ist das Akronym für «mobile user objective system». So heisst das neueste Satellitenkommunikationssystem der US Navy. Es besteht aus fünf Satelliten und vier Bodenstationen. Jede Militäreinheit der US-Streitkräfte kann mit den Satelliten Kontakt aufnehmen. Diese leiten sie an die Bodenstationen weiter.

Die Stationen sind mit den Kommandozentralen in den USA verbunden. Dadurch können die USA jedes mobile Gerät und jede ferngesteuerte Waffe aus grösster Entfernung kontrollieren. Das System überträgt grosse Datenmengen störungsfrei und mit einer 16 Mal höheren Übertragungskapazität als das frühere Satellitenkommunikationssystem der US-Streitkräfte.

Demonstration vor Sendeantennen.
Legende: Die US-Navy betreibt seit 1991 eine Telekommunikationsbasis in Niscemi: die Naval Radio Transmitter Facility (NRTF). Imago/Zuma Press

Widerstand gegen mehr Antennen

In Niscemi steht seit 1991 die US-Telekommunikationsbasis Naval Radio Transmitter Facility (NRTF). Sie gewährleistet den Kommunikationsfluss zwischen den Boden-, See- und Luftstreitkräften und den Kommandos der US Navy. 2008 wurde bekannt, dass dort eine MUOS-Station gebaut werden sollte.

Da regte sich unerwartet Widerstand in der Stadt. Denn jede MUOS-Bodenstation besteht aus drei riesigen Parabolantennen und zwei spiralförmigen Antennen, die auf ultrahoher Frequenz senden.

Die Mikrowellen, die sie ausstrahlen, verursachen zwar keine unmittelbaren Schäden. Ausser wenn man direkt in das sehr starke Wellenband gerät, wo die Mikrowellen gebündelt werden. Langfristig können Mikrowellen dennoch krebserregend wirken – das hat eine Studie der International Agency for Research on Cancer belegt.

Gefahr für Mensch und Tier

Für die Zugvögel, die über Sizilien fliegen, stellt das Wellenband des MUOS hingegen eine unmittelbare Gefahr dar, wie auch für die Flugzeuge, die vom nahen Zivilflughafen Comiso abfliegen: Deren Bordcomputer könnten beim Durchfliegen des Wellenbandes ausfallen.

Wissenschaftler stellten schon vor der Einschaltung der MUOS-Antennen fest, dass die elektromagnetische Strahlung der NRTF die gesetzlichen Grenzwerte überschritt. Niscemis Ärzte führten eine Studie durch, die zu frappanten Ergebnissen führte: In Niscemi kommen bestimmte Tumoren doppelt so häufig wie im restlichen Italien vor.

Sizilien – der Vorposten von USA und NATO im Mittelmeer

Die USA halten 13 Militärstützpunkte auf Sizilien. Die Insel ist der Vorposten der US- und NATO-Streitkräfte im Mittelmeer. Von der Ostküste fliegen Flugzeuge ab, die Ziele auf dem afrikanischen Kontinent bombardieren. Von dort starten auch Überwachungs- und Killerdrohnen.

«Die Befehle dazu werden über die NRTF-Basis in Niscemi übermittelt. Wenn wir dies zulassen, sind wir für die Toten mitverantwortlich», sagt Claudia Pedilarco. Seit 2009 ist die junge Mutter aus Niscemi in der No-MUOS-Bewegung aktiv.

Frau mit geschminktem Gesicht steht mit einem bunten Regenschirm vor einem Maschendrahtzaun.
Legende: Erst protestierte nur eine kleine Gruppe, dann gingen auch unpolitische Einwohner auf die Strasse. Imago/Milestone Media

Für Flüchtlinge und Migranten

Anfangs bestand die Bewegung aus einer kleinen Gruppe von Friedensaktivisten aus Niscemi. Sie protestierten schon vor dem Bau gegen die MUOS-Station und informierten die Bevölkerung über die Gefahren, die von ihr ausgehen würden.

2009 gingen dann auch unpolitische Einwohner Niscemis auf die Strasse. Kurz darauf schlossen sich Friedensaktivisten aus ganz Sizilien den Protesten an. Diese wuchsen zu einer Friedensbewegung, die inzwischen nicht nur gegen die MUOS-Station in Niscemi kämpft, sondern gegen die Militarisierung Siziliens und gegen den Krieg überhaupt.

Die Aktivisten setzen sich ausserdem für die Aufnahme von Flüchtlingen und Migranten ein. «Sie sind Opfer derselben neoliberalen Politik, die Kriege und Elend in der ganzen Welt produziert», sagt Piero Gurrieri, ein Aktivist der ersten Stunde.

Wenn Prostestieren teuer wird

Zunächst versuchten Einwohner Niscemis, die Baulastwagen zu blockieren, die Material und Arbeiter für den Bau der MUOS-Antennen transportierten. Doch die Polizei löste die Strassenblockaden gewaltsam auf.

Im September 2013 organisierte die No-MUOS-Bewegung ein Picknick auf dem Militärgelände, an dem ganze Familien teilnahmen. «Die Kinder spielten Fussball, die Grosseltern schauten zu. Alles völlig friedlich», erzählt Gurrieri. «Dann regnete es Anzeigen. Wegen Betretens von Militärgebiet, Beschädigung des Zauns, und so weiter.»

Momentan laufen rund 200 Verfahren gegen No-MUOS-Aktivisten. Ihnen drohen Geldstrafen. Solche wiegen auf Sizilien schwer: Junge Sizilianer haben oft weder Arbeit noch Einkommen. «Deshalb sind viele junge Aktivisten auf Drängen der Familien aus Niscemi auswandert. Hier hätten sie keinen Job mehr gefunden», weiss Gurrieri.

Mit Naturschützern und Mafia-Gegnern

Der Widerstand der Bewegung konnte den Bau der MUOS-Anlage in Niscemi um vier Jahre verzögern, aber nicht verhindern. 2016 wurde sie fertiggestellt. Nun wird der Kampf gegen die Satellitenschüssel in den Gerichtssälen ausgetragen.

Mit der No-MUOS-Bewegung haben sich Wissenschaftler, Anti-Mafia-Organisationen und Anwälte solidarisiert. Sie haben gegen den Bau der Station Klage erhoben: Denn um sie zu errichten, wurden weite Teile eines Naturschutzgebiets abgeholzt, auf dem Bauverbot galt.

Dennoch haben die italienische Regierung und die Regionalverwaltung eine Baugenehmigung erteilt. Dies sei illegal gewesen, befindet die Staatsanwaltschaft von Caltagirone, einer Stadt in der Nähe von Niscemi.

Ein moralischer Sieg

«Es ist ein einmaliger Fall», meint Anwalt Goffredo D’Antona, der die Bewegung vertritt. «Demonstranten werden belangt, weil sie gegen etwas protestiert haben, aber das, wogegen sie protestierten, wird von einer Staatsanwaltschaft als rechtswidrig erachtet.» Der Prozess beginnt im Dezember.

Aber einen moralischen Sieg haben die Aktivisten bereits errungen. Sie haben den Aachener Friedenspreises erhalten. «Ein Zeichen zur Stärkung der Gruppe durch Solidarität und Öffentlichkeit», liest man in der Jury-Begründung. Gegen den US-Goliath können Friedensaktivisten beides gebrauchen.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 26.9.2017, 9 Uhr.

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