Die drei gut gekleideten Männer scheinen nur kurz zu stehen. Tadellos gekleidet sind sie, ihre Hüte und Zigaretten keck im Gesicht. Sie sind unterwegs. Es geht zum Tanz in eine hoffnungsvolle Zukunft. Es geht in den Krieg.
Raus aus dem Atelier
Das Bild stammt aus dem umfangreichen Werk des deutschen Fotografen August Sander (1876-1964). Zu Beginn des Jahrhunderts begann er, als Auftragsfotograf Menschen in ihrem natürlichen Umfeld abzulichten. «Sander war der erste Fotograf, der die Porträtfotografie konsequent aus dem Atelier geholt hat. Er hat die Menschen in ihrem natürlichen Umfeld fotografiert: zu Hause oder – das war neu – draussen», sagt Gabriele Conrath-Scholl, Leiterin der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur in Köln, wo der Nachlass von August Sander liegt. Die Fotografie «Jungbauern» entstand 1914 im deutschen Westerwald, kurz vor Ausbruch des Weltkriegs. Erstmals wurde sie 1929 in Sanders Porträtsammlung «Antlitz der Zeit» publiziert.
Metapher des Zeitgeistes
Es war die Ausstrahlung dieses Bildes, das den amerikanischen Erfolgsautor Richard Powers zu seinem ersten Roman inspiriert hat. In «Drei Bauern auf dem Weg zum Tanz» (1985, deutsche Übersetzung 2011) erzählt er die Geschichte der drei Männer nach, wie er sie sich vorstellt. Wie in all seinen Werken kombiniert Powers fiktive und essayistische Elemente mit Fakten.
In diesem Roman wird die Fotografie zu einer Metapher für den Zeitgeist kurz vor Ausbruch des Krieges. Eine Metapher, wie sie erst im Rückblick entsteht. «Wir alle würden mit verbundenen Augen auf ein Feld irgendwo in diesem geschundenen Jahrhundert geführt werden und tanzen müssen, bis uns die Luft ausgeht. Tanzen, bis wir zusammenbrechen», schreibt Richards Powers in seinem Roman.
Ein Katalog von Prototypen
Powers Roman öffnet auch den Blick auf das monumentale Werk von August Sander. Für seine gross angelegte Sammlung «Menschen des 20. Jahrhunderts» wurde dieser später berühmt.
Aus dem Fundus seiner zahlreichen, während Jahrzehnten entstandenen Porträts entwickelte Sander die Idee eines Kataloges von Menschen des 20. Jahrhunderts, unterteilt in sieben Kategorien: «Der Bauer», «Der Handwerker», «Die Frau», «Die Stände», «Die Künstler», «Die Grossstadt» sowie «Die letzten Menschen» (die an anderer Stelle als «Alter, Krankheit und Tod» bezeichnet werden). Durch diese Kategorisierung werden die abgebildeten Menschen zu einer Art «Prototypen ihres Berufes oder gesellschaftlichen Standes», wie es Conrath-Scholl formuliert. Aus einzelnen Porträts entsteht ein Bild der damaligen Gesellschaft.
Die Idee des Herrn Jakob
An einer Stelle in Richard Powers Roman zeigt der fiktive August Sander den drei Bauern eine Fotografie, die er von einem Herrn Jakob auf einem Acker gemacht hat:
«Wie ihr seht, ist er nicht mehr der Herr Jakob, mit dem man über Ackerbau plaudert. Nein, vor der Linse ist er eine andere, wichtigere Person geworden. Er ist nicht nur ein Individuum mit einem bestimmten Geburtsjahr und einem bestimmten Todesjahr (…), sondern hat sich zum Wohl der unsichtbaren Betrachter als Vertreter der begüterten, arbeitenden Menschen dem universalen Strom angeschlossen. Er ist zur Idee des Herrn Jakob geworden, wenn man so will.»
Jung und frisch in den Krieg
Wie sind die «Jungbauern» zu einer Ikone aus dem Vorabend des Ersten Weltkriegs geworden? Die Kraft dieser Fotografie habe mit dem Aufnahmedatum zu tun, sagt Conrath-Scholl: «Es ist tatsächlich im Sommer 1914 entstanden. Und im August sind die drei Porträtierten eingezogen worden. Man sieht, wie selbstbewusst die drei daherlaufen. Darin widerspiegelt sich, wie jung und frisch und provozierend die Deutschen damals in ihr Unglück liefen. Dass die Männer in einer Reihe stehen, macht die Fotografie zu einem fast filmischen, fiktiven Moment, zu einer Geschichte.»
Doch was ist wirklich passiert mit den drei «Jungbauern», nachdem Sander sie fotografiert hat? Sie fuhren zum Tanz. Und danach fuhren sie in den Krieg, wo einer von ihnen kurz darauf den Tod fand.