Das Bedürfnis nach Bildern aus dem Krieg war gross, nach Fotografien und Filmen. Denn dieser Krieg – anders als der Zweite Weltkrieg – wurde lokal beschränkt ausgetragen. Viele Menschen kannten zwar die materielle Misere im Krieg und die familiäre Not, wenn die Männer an der Front fielen oder schwer verletzt wurden.
Den Krieg selber, dieses grosse Ungeheuer, das sowohl Begeisterung als auch Furcht auslöste, sahen sie aber nicht. Kriegsgerät, Gefechte, Explosionen, aber auch Aufmärsche tausender Soldaten, das konnte die zurückgebliebene Bevölkerung nur im Kino sehen.
Immer die gleichen Kurzfilme
Das Kino nimmt eine Schlüsselrolle in der Vermittlung vom Bild des Ersten Weltkriegs ein. Aber was für eine? Zu Beginn des Krieges wurden in den Kinos in zusammengestellten Programmen (Wochenschauen oder thematische Blöcke) Kurzfilme gezeigt, um die Neugier des Publikums zu befriedigen. Dieses wollte informiert, aber auch unterhalten werden.
Doch aus dem Krieg kamen die ewig gleichen Filmchen: Truppenaufmärsche, Stabsbesprechungen hinter der Front, Soldaten beim Alltag während Gefechtspausen, Versorgungszüge. Nach nur wenigen Monaten blieb dem Kino das Publikum weg, aus Verdruss und Langeweile.
Filmen im Krieg war gefährlich
Was die Leute sehen wollten, war der Krieg selber, die Schützengräben, die Gefechte, Angriffe auf feindliche Stellungen. Aber das war schwierig zu filmen. Nur eine handverlesene Anzahl von Kameramännern durfte an die Front. Unabhängige Kriegsberichterstatter gab es noch nicht, die Filmemacher wurden von den Regierungen ausgesucht und zensiert.
Und waren sie einmal an der Front, war es unglaublich schwierig, tatsächlich Gefechtsaufnahmen zu drehen. Das Kameramaterial war gross und schwer und es brauchte lange, bis es aufgebaut war. Dann hatte man nur Filmmaterial für wenige Minuten – und in der Unberechenbarkeit des Kriegs war es schwierig, den richtigen Moment zu erwischen.
Ausserdem wurde auf alles, was sich über den Schützengraben hinaus bewegte, sofort geschossen. Aus diesen Gründen verlegten sich viele Kameraleute auf das Filmen hinter der Front.
Plötzlich sah man von oben auf das Kampfgebiet
Aber das zahlende Kinopublikum wollte Spektakel und Unterhaltung – es wollte die versprochenen Schlachten, den «echten» Krieg sehen. Und so begannen die Filmemacher den Krieg im Kino zu inszenieren. Bald schon kamen längere Filme von den Kriegsschauplätzen.
Man sah plötzlich, wie die eigenen Truppen voranstürmten, an der Kamera vorbei unter Granatenhagel und Explosionen feindliche Stellungen angriffen. Man sah von oben auf Kampfgebiet, konnte einem Gefecht zuschauen.
Das Kino bot dem Publikum, was es sehen wollte. Und tat dies mit den Mitteln des Kinos: Statt abzufilmen, inszenierten die Filmemacher den Krieg jetzt, drehten Truppenübungen oder stellten gar ganze Schlachtenszenen nach. Statisten dafür waren die Soldaten, die für einmal kurz vom Krieg Pause machen und in einem Kriegsfilm mitwirken durften.
Die Erfindung des Dokumentarfilms
Plötzlich liefen im Kino abendfüllende, spektakuläre Dokumentationen von Schlachten, manchmal prächtig koloriert, schnell und spannend geschnitten. Die abgefilmten Truppenübungen und inszenierten Kampfszenen erlaubten das, was vorher kaum möglich war: Gerade diese «falschen» Filmbilder vermittelten einen umfassenden Eindruck vom Krieg.
Authentisch oder nicht – diese Filme haben unser Bild vom Krieg geprägt. Und sie markieren eine Wende im Filmschaffen: Der Dokumentarfilm, wie wir ihn heute kennen, entstand in diesen Jahren, als der Krieg im Kino plötzlich nach Drehbuch ablief.