Jacques Tardis Grossvater geriet im Ersten Weltkrieg in deutsche Gefangenschaft, seinen Vater, einen Berufsoffizier, ereilte das gleiche Schicksal im Zweiten Weltkrieg. Beide, Grossvater und Vater, redeten nie oder nur höchst ungern über ihre Kriegserfahrungen. Das verstärkte das Interesse des 1946 geborenen Jacques Tardi am Krieg: Seine erste eigene Comic-Kurzgeschichte «La Torpédo rouge-sang» (1970) zeichnete die Lebensgeschichte des Autos nach, in welchem Erzherzog Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 in Sarajewo ermordet wurde.
Als moderner Klassiker verehrt
1993 veröffentlichte Tardi, der längst als moderner Klassiker verehrt wird und dessen Comics in Frankreich spielend Auflagen von über 100'000 Exemplaren erreichen, sein Meisterwerk «Grabenkrieg» und vor einigen Jahren das zweibändige Werk «Elender Krieg». Sie sind die zwei wohl stärksten Comics über den ersten Weltkrieg.
Derzeit ist Tardi zwar mit der Aufarbeitung der Kriegsgefangenschaft seines Vaters beschäftigt, doch seine Obsession ist und bleibt der Erste Weltkrieg, der im kollektiven Gedächtnis Frankreichs weit tiefere Wunden hinterlassen hat als die deutsche Besetzung im Zweiten Weltkrieg.
Ausstellung im Schützengraben
Im Mittelpunkt der Ausstellung am internationalen Comic-Salon von Angoulême stehen rund 400 Originalseiten und Entwürfe aus «Grabenkrieg» und «Elender Krieg». Sie sind adäquat präsentiert: Die Seiten hängen an rohen Bretterwänden, die an Schützengräben gemahnen und so raffiniert angelegt sind, dass die Besucherinnen und Besucher, von bedrohlichem Geschützdonner beschallt, die Orientierung verlieren. Schliesslich landen sie in einem runden, kapellenartigen Raum, einem Soldatenfriedhof, über dessen weissen Holzkreuzen die zerschlissenen Fahnen aller im erster Weltkrieg kämpfenden Nationen wehen.
Diese Inszenierung unterstreicht die Einzigartigkeit und Stärke von Tardis Kriegscomics: Er unterläuft alle Klischees und Fallen, die aus so vielen Filmen, Büchern und Comics mit gut gemeinten pazifistischen Absichten unfreiwilligen Krieg heroisieren. «Es gibt keine Helden und keine Hauptperson in dem beklagenswerten kollektiven Abenteuer, genannt Krieg. Es gibt nur einen gigantischen, anonymen Aufschrei im Todeskampf», schreibt Jacques Tardi im Vorwort zu «Grabenkrieg».
Die Routine des Schreckens
Tardi schildert den Krieg als Abfolge gleichförmiger Tage bei ständiger Bedrohung. Die immer gleich breiten Bilder und der Verzicht auf eine Dynamisierung der Seitengestaltung vermeiden jegliche Dramatisierung des Geschehens. Bewusst baut Tardi keine Spannung auf und hält uns lieber auf Distanz. Er verzichtet auf kunstvoll inszenierte Explosionen und Schlachtenbilder – bei ihm bedeutet Geschützdonner Tod.
Er vermeidet rührseligen Frontkitsch, er vermeidet die Beschwörung von Heldentum und männlicher Kameradschaft – «la grande guerre» ist nur erbärmlich, zynisch, grausam und sinnlos. In «Grabenkrieg» schildert Tardi in breiten Bildern kleine Alltagsgeschichten aus den Schützengräben: Alles trieft nur so vor Dreck und Schlamm, die Soldaten werden zynisch irgendwelchen surreal anmutenden strategischen Zielen geopfert, da gibt es keine Helden, sondern nur Schiss und Feigheit, Grabenkoller, Versuche der Selbstzerstümmelung, um den Gräben zu entfliehen, zensierte Briefe von und nach Zuhause, Durchfall und Hoffnungslosigkeit.
Namenlose Soldaten und Opfer
Tardi verzichtet in «Grabenkrieg» auf eine Hauptfigur und hält die Anekdoten so nüchtern und so kurz, dass der Leser unmöglich eine Beziehung zu den Protagonisten aufbauen kann – so verhindert er Identifikation oder Mitgefühl, die den Schrecken relativieren könnten. In «Elender Krieg», das Tardi zusammen mit dem Historiker Jean-Pierre Verney geschrieben hat, gibt es zwar einen Erzähler, einen einfachen Soldaten, der uns den Krieg aus seiner Perspektive erzählt – doch dieser Soldat bleibt namenlos und taucht kaum je selber im Bild auf.
In beiden Fällen verhindert diese Distanzierung unsere Identifikation und Empathie. Die Soldaten bleiben so anonym wie die Opfer auf dem kleinen Soldatenfriedhof, den die Besucher beim Verlassen der Ausstellung passieren müssen – nicht ohne einen leisen Schauder des Entsetzens angesichts der Ungeheuerlichkeit dieses Kriegs.