In der Zentralbibliothek Zürich schlummern viele musikalische Schätze. So auch der Nachlass des Schweizer Musikers Marcel Sulzberger (1876-1941). Sulzberger reiste für Studien nach Paris, korrespondierte mit Claude Debussy und experimentierte als Komponist an den Grenzen der Tonalität. Praktisch gleichzeitig wie Arnold Schönberg, der Schöpfer der Zwölftontechnik, wandte sich Sulzberger vom tonal gebundenen Komponieren ab.
Marcel Sulzberger – provinziell wider Willen
Doch mit dem Ausbruch des Kriegs 1914 wurden die Reisen nach Paris immer seltener. Und auch nach Kriegsende hatte Sulzberger keine finanziellen Mittel mehr, um grosse Auslandreisen zu machen und sich weiter in Paris umzusehen und zu -hören. Sein Kontakt mit den Zürcher Dadaisten blieb offenbar eine kurze Episode, und seine Karriere als Komponist versandete.
«Ein tragischer Fall», sagt der Musikforscher und Sulzberger-Biograf Chris Walton, der den Nachlass aufgearbeitet hat. «Sulzberger war wie andere seiner Schweizer Zeitgenossen zur Provinzialität verdammt. Dabei ging die hohe Qualität seiner Kompositionen, gerade der Lieder aus der Zeit um 1910-1915, leider vergessen.»
Emil Frey - ein Starpianist ohne Auftritte
Einen drastischen Karriereknick brachte der Krieg für den Pianisten Emil Frey mit sich. Vor der russischen Revolution musste der gefeierte Pianist und Klavierpädagoge aus Moskau fliehen und wurde Professor am Zürcher Konservatorium. An seine brillante internationale Konzertkarriere der Jahre 1907-12 konnte er in den 1920er- und 1930er-Jahren nur noch beschränkt anknüpfen.
Auch Emil Frey steht mit Jahrgang 1889 als Erbe der Romantik im Spannungsfeld der stilistischen Umbrüche. Seine Kompositionen lassen einerseits den Einfluss von Franz Liszt erkennen und beziehen sich andererseits hörbar auf moderne Vorbilder wie Busoni und Skriabin.
Umbrüche werden hörbar
Chris Walton ist überzeugt: «Diese fast vergessenen Komponisten sind auf ihre Weise selber gross in der Verschmelzung der Pole – zwischen romantischer Harmonie und moderner Tonsprache. Sie entwickeln eine ganz eigene musikalische Handschrift und Persönlichkeit. Sie neu zu hören und zu entdecken, lohnt sich unbedingt!»
Als der Komponist und renommierte Liedbegleiter Edward Rushton die Stücke von Frey und Sulzberger und deren jüngeren Zeitgenossen Walter Lang (1896-1966) und Max Zehnder (1901-1972) in der Zentralbibliothek Zürich entdeckte, entstand die Idee zu einem Liederabend «am Bruch zur Moderne». Zusammen mit der Sopranistin Sibille Diethelm und dem Tenor Valentin Johannes Gloor lassen ausserdem zwei junge, bereits erfahrene Stimmen die fast vergessenen, aber spannenden Klang-Experimente der Jahre vor und nach dem grossen Umbruch wieder aufleben.