16 Millionen Dokumente haben sie untersucht, doch auch nach drei Jahren seien sie erst am Anfang, sagt Suzanne Brown Fleming vom US-Holocaust Memorial Center. Um ein gesichertes Verständnis über diese Zeit und das Handeln der Kirche zu erhalten, werde es noch fünf bis zehn Jahre dauern.
Dennoch sei jetzt ein «magischer Moment», hier in Rom erste Ergebnisse zu präsentieren.
Das Zustandekommen dieser Fachkonferenz ist – wenn nicht «magisch» – doch ein Fortschritt. Der letzte historische Aufarbeitungsversuch scheiterte 2008 mit einem katholisch-jüdischem Zerwürfnis.
2019 nahm Papst Franziskus die Sache schliesslich in die Hand: Er öffnete das Privatarchiv seines Amtsvorgängers früher als vorgesehen, die Päpstliche Universität Gregoriana in Rom vernetzte die wichtigsten Forschungsinstitutionen der Welt, von Rom über Jerusalem bis Washington.
Eine interdisziplinäre Gruppe von mehr als 100 Forschenden hat seither den Auftrag, ein genaues Bild dieser Zeit zu zeichnen. Damit alle Zugriff haben, hat sie die Akten digitalisiert. Zu den Pius-Akten hinzu kamen zudem Dokumente aus den Archiven des Vatikanstaats, einzelner Klöster und Hilfswerke sowie einiger Vatikanbotschafter, der Nuntiaturen in Europa und den USA.
Was tat die Kirche, was nicht?
Die in Rom präsentierten Studien ergeben ein vielschichtiges Bild, wie die römisch-katholische Kirche agierte und wer welchen Einfluss auf den Papst ausübte: Von Judenrettern, mutigen Klosterfrauen und engagierten Vatikanbotschaftern in Osteuropa ist ebenso die Rede wie von einem ungebrochenen Antijudaismus und dass Juden zu «bekehren» seien.
Das päpstliche Hilfswerk fokussierte seine Hilfe zudem auf getaufte Juden, sogenannte «nicht-arische Katholiken». Hier war der Papst besonders aktiv.
Die römisch-katholische Kirche war die am besten vernetzte Organisation der Welt. Sogar die US-Regierung fragte den Papst nach Informationen über die Judenverfolgung. Doch der Vatikan gab an, nichts Gesichertes sagen zu können.
Hat Pius XII. öffentlich geschwiegen, um privat helfen zu können? Der führende Historiker Hubert Wolf, sagt, er könne diese alles entscheidende Frage nicht guten historischen Gewissens beantworten. Die Masse an Daten liesse sich durch die Digitalisierung nun aber rascher bearbeiten.
Papst Pius XII. wusste, wenn auch nicht alles
Durch seine Botschafter in aller Welt wusste der Papst von den Konzentrationslagern, von Deportationen und Drangsal der europäischen Juden. Auch wenn ihm Vatikanmitarbeiter wohl nur zehn Prozent der Bittschriften Verfolgter weiterleiteten.
Im Vatikan selbst nämlich wiegelte namentlich Kurienkardinal Angelo Dell’Acqua solche Nachrichten ab. Ihn rückt die Fachkonferenz auch wegen seiner klar antisemitischen Aussagen in ein schlechtes Licht.
Angst vor der Geschichte?
Schlecht beraten wurde der Papst auch von seinem Nuntius in Frankreich. Valerio Valeri spielte die Deportationen der Juden aus Frankreich herunter, äusserte sich auch nach 1945 empathielos bis skeptisch zum Holocaust.
Bis heute wehren sich einige Nuntiaturen, ihre Akten freizugeben. Das Archiv von Kardinalstaatssekretär Pietro Gasparri etwa wird weiter zugehalten. Hat man also doch «Angst vor der Geschichte»?