Manche Menschen schaffen es, mehrere Leben in ein einziges zu packen. Heinrich Schliemann ist definitiv einer von ihnen: Schulabbrecher, Hilfskraft, Schiffbrüchiger, Kaufmann, Goldhändler, Millionär – und schliesslich Archäologe.
Immer unterwegs, immer neugierig
«Diese Getriebenheit begleitet ihn sein Leben lang. Er ist nie mehr als ein paar Monate an einem Ort gewesen. Ständig auf der Suche nach etwas, immer unterwegs», sagt die Archäologin und Journalistin Leoni Hellmayr.
«Gleichzeitig war er stets neugierig: Bereits vor seiner archäologischen Karriere war er ein Forscher durch und durch, begeistert und interessiert an fremden Kulturen.»
Auf der Suche nach Troja
Leoni Hellmayr hat eine Biografie über Heinrich Schliemann geschrieben. Darin geht sie dem Wesen Schliemanns auf den Grund – seinem Fernweh, das auch mit den schwierigen familiären Verhältnissen zuhause im mecklenburgischen Dorf Ankershagen zu tun hat.
Da das Geld für eine akademische Laufbahn fehlt, wird Schliemann kaufmännischer Lehrling. Im Nachhinein wohl ein Glücksfall: Nur durch sein geschicktes Geschäften in Russland und Kalifornien während des Goldrausches kann er es sich leisten, mit 40 Jahren seiner eigentlichen Leidenschaft, der Archäologie, nachzugehen. Genauer gesagt: der sagenumwobenen Stadt Troja aus Homers Erzählung «Ilias».
Ein überraschender Fund
«Es gab verschiedene Thesen dazu, wo Troja gelegen haben müsste», sagt Leoni Hellmayr. «Das ist bezeichnend für das 19. Jahrhundert: Man stellte sich die Frage: Was kann historisch belegt werden? Kann es Troja wirklich gegeben haben?»
Eine dieser Thesen besagt, dass Troja sich auf dem Hisarlik-Hügel im Nordwesten der Türkei befindet. Kurzerhand entschliesst sich Heinrich Schliemann, dort loszugraben.
«Er hatte das Ziel, das homerische Troja zu finden. Der Trojanische Krieg wird aber auf das 14. bis 12. Jahrhundert vor Christus datiert – er hat sich sozusagen 1000 Jahre zu tief gegraben», erklärt Hellmayr. «Was er stattdessen entdeckte, war eine ganz andere Kultur – die der Bronzezeit. Eine sehr hochentwickelte Kultur, aber eigentlich nicht das, was er erfinden wollte.»
Wegweisende Methoden in der Forschung
Diese unwissenschaftlichen Grabungsmethoden bringen ihm zunächst viel Kritik ein. Jedoch, das hebt auch Hellmayrs Biografie heraus, entwickelt Schliemann mit der Zeit revolutionäre archäologische Verfahren, die teils heute noch Anwendung finden.
«Dazu gehört zum einen die Gewichtung der unscheinbaren Objekte: Kleinfunde wie Tonscherben etwa. Schliemann hat Wert darauf gelegt, dass seine Arbeiter jede noch so kleine Tonscherbe sammeln. Und hat er gelernt, die Schichtenfolge zu beachten. Gerade für Troja ist dies wichtig, da die Abfolge hier sehr komplex ist.»
Ausserdem habe er Wissenschaftler aus anderen Fächern zu sich eingeladen. Diese wiederum hätten die Botanik oder die topographischen Verhältnisse untersucht – eine Praxis, die bis heute gängig sei.
Ein Leben als grosses Abenteuer
Vom kosmopolitischen Kaufmann zum Pionier der prähistorischen Archäologie: Heinrich Schliemanns Leben gleicht einem grossen Abenteuer. Es steht exemplarisch dafür, dass ein starker Wille buchstäblich Berge versetzen kann – ganz unabhängig davon, ob es das homerische Troja nun tatsächlich gegeben hat oder nicht.