Im Tempel der Hare Krishnas am Zürichberg ist es Mittag. Ein Muschelhorn tönt durch das ganze Haus. Es ruft aber nicht zum Zmittag, sondern zum Gottesdienst, Puja genannt.
Der Tempel steht bereits seit den 80er-Jahren in der Stadt Zürich. Die ehemalige Bankiersvilla wurde den damals noch sehr jungen Krishna-Anhängern überlassen, verlottert, wie sie war. Seither ist viel passiert in der Bewegung: Es gab Skandale, Familien sind auseinandergebrochen, immer wieder fiel das Wort Sekte.
Von 60 auf 6 Vollzeitmitglieder
Unterdessen sieht man sie kaum mehr, die indisch angezogenen Krishna-Anhänger. «Doch, doch, uns gibt es noch», lacht Christoph Truttmann, alias Krishna Premarupa Das. Es würden aber nur noch wenige Personen als Mönche oder Nonnen im Tempel leben. Sie seien mit dem Erhalt des Hauses und den täglichen Aufgaben bereits voll ausgelastet.
«Der Grossteil der Hare Krishnas besteht heute aus Gemeindemitgliedern, die ein normales Leben führen, arbeiten, eine Familie haben und nicht ständig Zeit haben, auf der Strasse singen zu gehen», so Truttmann.
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In der Anfangszeit waren es circa 60 Personen, die im Tempel in Zürich gelebt hatten. Heute sind es gerade mal noch 6 Vollzeitmitglieder. «Zu Beginn hatte man den Glauben, dass man alles erreichen kann. Ein grosser Enthusiasmus war spürbar, es wurde eifrig gepredigt und missioniert», sagt Christoph Truttmann.
Sein spiritueller Name Krishna Premarupa Das heisst übersetzt «Diener der verkörperten Liebe zu Krishna». Und um diese Liebe zu Krishna, diesem Gott aus der hinduistischen Glaubenswelt, dreht sich alles in der Bewegung. Und um das Singen des Mantras, des Gebets «Hare Krishna». Durch das Singen könne das Individuum erlöst werden aus dem ewigen Kreislauf der Wiedergeburt.
Kommunizieren, nicht bekehren
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Heute agiert die internationale Gesellschaft für Krishna-Bewusstsein (ISKCON) – so nennt sich die Bewegung – nicht mehr mit demselben missionarischen Eifer wie zu Beginn. Sie hat sich grundlegend verändert. Der Religionswissenschaftler Frank Neubert, Professor an der Universität Bern, hat diese Veränderungen erforscht. Er sagt: «Die ISKCON war lange Zeit als böse Sekte verschrien, sie hat es aber aus meiner Sicht geschafft, als etablierte Religionsgemeinschaft zu existieren und sich aus den Debatten um Gefährlichkeit und Sekte raus zuhalten.» Möglich geworden sei das durch Reformen innerhalb der Gemeinschaft.
«Ab den 90er-Jahren hat man begonnen, mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren, Glaubensinhalte darzustellen, ohne jemanden gleich bekehren zu wollen. Auch die intensive Zusammenarbeit mit den indischen Migranten auf der ganzen Welt hat ebenfalls mehr Akzeptanz geschaffen», so der Religionswissenschaftler Neubert. Der Krishna-Tempel in Zürich war der erste Hindu-Tempel in der Schweiz überhaupt.
Vom Westen zurück nach Indien
Diese Zusammenarbeit mit den Migranten beschert den Hare Krishnas heute einen erstaunlichen Erfolg, wie Frank Neubert beobachtet: «Der grösste Wachstumsmarkt der ISKCON ist zurzeit Indien. Aus indischer Sicht kommt diese religiöse Bewegung aus Westen nach Indien zurück – und verkörpert für viele Inder eine Art reinere Form von Religiosität.»
Dennoch, in Amerika und Europa steht die ISKCON vor ähnlichen Herausforderungen, wie andere religiöse Gemeinschaften: Der Nachwuchs fehlt. «Wenige sind heute bereit, sich Vollzeit an so einer Bewegung zu beteiligen. Spiritualität wird konsumiert, so wie anderes auch», erklärt Tempelpräsident Christoph Truttmann.
Doch die Gemeinde sei heute mit vielen Familien und Gemeindemitgliedern, die ausserhalb lebten, reich auf eine andere Art: «Es ist schön zu sehen, wie wir gemeinsam den Tempel erhalten und voranbringen können.» So kochen sie etwa an Festivals, organisieren Seminare, Tage der offenen Tür und engagieren sich im interreligiösen Dialog.
Der jugendliche Elan der orange angezogenen Mönche oder einfach indisch gewandeten Nonnen vom Zürichberg mag etwas abgeflaut sein. Doch mittlerweile sind die Hare Krishnas fester Bestandteil der religiösen Landschaft der Stadt Zürich.