Valentina Tereschkowa ist so etwas wie ein russisches Aschenputtel: Aufgewachsen ist sie in einem Dorf im Westen Russlands, als Halbwaise in ärmsten Verhältnissen. Als Jugendliche arbeitete sie in einer Fabrik für Autoreifen, später als Zuschneiderin in einer Textilfabrik. Daneben bildete sie sich an der Abendschule technisch weiter. Und sie begann, Fallschirm zu springen. Denn sie träumte vom Fliegen. Der Traum sollte sich erfüllen. Aus der einfachen Arbeiterin wurde die erste Kosmonautin der Sowjetunion.
Pionierin im All
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Nach mehreren Bewerbungen und einem hartem Training hatte sie es, 26-jährig, geschafft: Am 16. Juni 1963 besteigt Valentina Tereschkowa das ferngesteuerte Raumschiff «Wostok 6». Vom Kosmodrom Baikonur in Kasachstan fliegt sie als erste Frau ins Weltall: allein an Bord, mit dem Funkruf «Möwe», gleich dem Freiheitssymbol aus Anton Tschechows Theaterstück. Unterwegs unterhält sie sich über Funk mit dem sowjetischen Regierungschef Nikita Chruschtschow und mit dem Kosmonauten-Kollegen Waleri Bykowski, der in der «Wostok 5» auf einem sogenannten «Gruppenflug» gleichzeitig mit ihr durchs All fliegt.
Der Flug verlief nicht nach Plan
49 Mal umrundet Valentina Tereschkowa die Erde. Als sie nach fast drei Tagen per Fallschirm zurückkehrt, ist sie weltberühmt. Sogar die Königin von England, Elisabeth II, schickt ein Glückwunschtelegramm. Tereschkowa erhält den Ehrentitel «Held der Sowjetunion» und verschiedene weitere Auszeichnungen.
Was allerdings erst später bekannt wird: Ihr Flug verläuft nicht nach Plan. Die Kosmonautin nickte offenbar mehrfach ein und soll Weisungen nicht ausgeführt haben. Das Raumschiff sei falsch programmiert gewesen, sagte Tereschkowa später.
Schneller als die Amerikaner
Ohnehin scheint ihr Weltraumflug – so viel Mut sie persönlich auch bewiesen hatte – nicht die grosse Pionierleistung gewesen zu sein, als die sie inszeniert wurde. Eher ging es um politische Propaganda: Im Wettlauf mit den Amerikanern hatten die Russen mit Juri Gagarin 1961 schon den ersten Mann ins All geschickt. Nun sollte auch die erste Frau im All eine Russin sein. Nachdem der Coup gelungen war, liessen die Sowjets fast 20 Jahre verstreichen, bis wieder eine Frau aus ihren Reihen ins All fliegen durfte – kurz vor der ersten US-Astronautin Sally Ride.
Für Valentina Tereschkowa war ihre Premiere im All auch ihre Derniere. Später absolviert sie ein Ingenieurstudium und engagiert sich vorwiegend politisch. Auch heute noch: Als Parlamentarierin sitzt sie im Rat des zentralrussischen Verwaltungsbezirks Jaroslawl. Die pensionierte Kosmonautin, die immer noch den Spitznamen der freiheitsliebenden Möwe trägt, politisiert nicht etwa oppositionell, sondern für die Partei von Wladimir Putin.
Fernziel Mars
Den Traum vom Fliegen hat sich die «Möwe» bewahrt. Gegenüber Journalisten sagte die 76-Jährige kürzlich, sie wolle dereinst als eine der ersten Menschen zum Mars fliegen. Dass sie von einer solchen Mission wohl nie mehr zurückkehren würde, sei ihr bewusst.