Ein Leben wie im Hamsterrad. Das sei ein typisches Gefühl für die Lebensphase zwischen Ende 30 und Anfang 50, sagt Pasqualina Perrig-Chiello. «Nach vielen Jahren des Aufbaus empfinden viele ihre berufliche und familiäre Situation so. In der Lebensmitte bilanzieren sie: Ja, soll denn das noch 20 Jahre so weitergehen?»
Die emeritierte Professorin für Psychologie sieht vor allem zwei wichtige Ausprägungen der Lebensgestaltung für die mittlere Generation. «Diese ‹Rush hour› des Lebens ist eine dichte Zeit voller Verantwortung», sagt Pasqualina Perrig-Chiello. Typisch für die Lebensphase zwischen Ende 30 und Anfang 50 sei aber auch die Lust an der Neuorientierung.
Umbruch und Neudefinition
Im mittleren Alter absolvieren viele eine Weiterbildung, strecken die Fühler nach neuen beruflichen Möglichkeiten aus, kaufen ein schweres Motorrad und, sagt Perrig-Chiello, es lassen sich viele Leute scheiden.
Gleichzeitig leben «Mittelalterliche» mit schulpflichtigen Kindern oder mit Jugendlichen zusammen, die sich allmählich ablösen. Die eigenen Eltern erreichen das höhere Alter und beanspruchen mehr Hilfe, nachdem sie lange ihre Nachkommen unterstützt haben.
«Weil Partnerschaften zu diesem Zeitpunkt schon älter sind und die Kinder vielleicht ausziehen, wird es nötig, sich als Paar neu zu definieren. Auch das ist eine Herausforderung.»
In dieser Lebensphase müssen die Menschen viel leisten: bei der Arbeit, als Eltern, als Teil einer Liebesbeziehung, im Freundeskreis. Der Druck kommt nicht zuletzt auch von innen: Man will attraktiv, intelligent, sportlich und – um Himmels Willen! – kein Langweiler sein. Angesichts der Ansprüche fragten sich viele: «Wo bleibe ich denn?»
Verantwortungsträger und -innen
Die meisten CEOs, Politikerinnen und Politiker sind mittleren Alters. Die Entwicklungspsychologin stellt fest: «Die Gesellschaft zählt auf diese Generation. Gleichzeitig werden sie als Blackbox behandelt. Sie sollen einfach funktionieren.» Eine ausgesprochene «Top-oder-Flop-Mentalität» verstärke diesen Druck: «Entweder bin ich super, oder ich falle durch.»
Biologisches Wesen Mensch
Perrig-Chiello weist darauf hin, dass auch die Biologie eine wichtige Rolle spielt: «Anfang 40 finden bei Männern wie bei Frauen die hormonellen Umstellungen statt. Die Wechseljahre lösen einiges aus, sie verunsichern auch. Man ist nicht mehr jung, aber noch nicht alt. Man muss sich neu definieren.»
Zur Zwischenbilanz gehört häufig die Erkenntnis, jetzt den Zenit erreicht zu haben. «Man hat beruflich und privat sehr viel investiert. Nun ist die Frage: Wie gestalte ich mein weiteres Leben?»
Lebensfreude geht nicht verloren
Umfragen geben Auskunft über die Werte der mittleren Generation. Am häufigsten werden genannt: Gesundheit, glückliche Partnerschaft, gute Freunde und finanzielle Unabhängigkeit. Am Ende der Liste stehen Konsum und Vergnügungen.
«Wenn man Kinder aufzieht, selbst ältere Eltern und einen Job hat und auf die 50 zugeht, schätzt man Sicherheit und Verlässlichkeit hoch. Die Jungen hingegen sind expansiv und wollen das Leben kennenlernen», erklärt Pasqualina Perrig-Chiello. «Die Leute mittleren Alters sind geerdet und haben Lebenserfahrung. Natürlich freuen sie sich an einem Glas Wein. Die Lebensfreude geht ja nicht verloren.»
Und dennoch treibt sie eine Zukunftsangst um: Sie fürchten sich vor eigener Krankheit oder der von Angehörigen, vor sozialem Abstieg im Alter und davor, den Ansprüchen der Arbeitswelt nicht mehr zu genügen oder die Stelle zu verlieren.
Die Sandwich-Generation
Die mittlere Generation ist zwar die mächtige Generation, aber es ist auch die Sandwich-Generation, die am genauesten sieht, was war und was noch auf sie und ihre Kinder zukommen wird.
«Man ist froh, dass man nicht noch einmal durchmachen muss, was man in jungen Jahren schon erlebt hat», schliesst die Entwicklungspsychologin, «aber man spürt auch ein Bedauern, weil man merkt, dass die Lebenszeit begrenzt ist.»