Die Digitalisierung scheint das schlagende Thema unserer Zeit zu sein. Und sie polarisiert mächtig. Philosophen, Wissenschaftler aber auch Historiker zerbrechen sich die Köpfe über die möglichen Zukunftsszenarien – ebenso kritisch wie euphorisch.
Unreflektierte Technikgläubigkeit?
Der Sozialpsychologe Harald Welzer fragt sich zum Beispiel: Warum gehen wir fraglos davon aus, dass selbstfahrende Autos und implantierte Chips notwendigerweise unsere Zukunft sein werden?
Er findet diese Grundüberzeugung unreflektiert und betont: «Die Digitalwirtschaft verfolgt eine unfassbar effiziente Werbestrategie, welche uns Entwicklungen wie Gesichtserkennung als natürliche und somit unausweichliche Evolution propagiert.» Dabei hätten wir es selbst in der Hand, frei mitzuentscheiden, welche Art von Technologien und Leben wir als Gesellschaft wollen, so Welzer.
Digitalisierung – die vierte industrielle Revolution
Die Digitalisierung bringt unabwendbare Umwälzungen mit sich. Laut Philosoph Richard David Precht können wir sie momentan noch positiv lenken – ja müssen gar.
Die anbrechenden Veränderungen werden heute als vierte industrielle Revolution gehandelt. Precht bespricht in seinem neuen Buch «Jäger, Hirten, Kritiker» die Chancen und Gefahren einer solchen Revolution.
Eine seiner Thesen darin: Die Digitalisierung wird in naher Zukunft die Bedeutung und den Wert von Arbeit radikal verändern. Denn: Ein Grossteil der Erwerbsarbeit wird verloren gehen.
Ein neues Sozialsystem
Doch anstatt diese gesellschaftlichen Veränderungen jetzt schon abzufedern, unterliegen wir laut Precht einem Zweckoptimismus. «Wir blenden aus, dass ein Strukturwandel der Arbeitswelt auch einen Strukturwandel des ganzen Sozialsystems nach sich ziehen wird.»
Deshalb sprechen Welzer und andere Kritiker von der Notwendigkeit einer Steuerreform. Seit Längerem wird über eine Finanztransaktions- sowie über eine Robotersteuer, anstelle von herkömmlicher Arbeitsbesteuerung diskutiert.
Die Politikphilosophin Katja Gentinetta hingegen möchte der ganzen Entwicklung und Umwälzung nicht mit neuen Besteuerungsformen entgegentreten. Sie ist sich sicher: «Wenn wir die bewährten Pfade unseres politischen Systems verlassen, dann laufen wir in die viel grössere Gefahr, jene Strukturen zu untergraben, die wir etabliert und die sich bis anhin bewährt haben.»
Chance auf Sinnschöpfung
Doch der Verlust von Arbeitsstellen muss kein dystopisches Szenario sein. Ganz im Gegenteil. Die Vision einer neuen Besteuerungsform führt letztlich nämlich zur Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen und damit zur Frage nach der Möglichkeit eines sinnvollen, selbstbestimmten Lebens.
Die Idee dahinter ist simpel: Wenn Roboter für uns arbeiten, haben wir wieder mehr Zeit, darüber nachzudenken, welches Leben wir wirklich wollen und was uns glücklich macht. Es ist also alles nur eine Frage der Kultur, nämlich wie der Mensch die Technik benutzt und nicht umgekehrt. Die Zukunft ist somit nicht nur Verheissung, sondern auch Gestaltungsauftrag.