Es ist das Jahr 1929. Der Sprachwissenschaftler Hans Kläui hat seine Dissertation abgeschlossen und sucht nach Arbeit. Lehrer möchte er werden. Doch: Trotz Doktortitel findet er keine Stelle.
In seinem Frust sucht Kläui nach Sündenböcken und findet sie in den Juden. «Auf Schritt und Tritt begegnet man diesen krummnäsigen Gestalten, die unsern schweizerischen Akademikern die Stellen wegnehmen», wird er später schreiben.
Sehnsucht nach Autorität
Das antisemitische Gedankengut und die wirtschaftliche Misere treiben ihn in die Arme der Nationalen Front, einer faschistischen Gruppierung, die in studentischen Kreisen in Zürich ihren Anfang nimmt.
Es ist eine von vielen Organisationen, die unter dem Begriff Frontenbewegung zusammengefasst werden. Ihnen ist gemein, dass sie sich nach einem autoritären Führungsstaat sehnen – nach Vorbild des faschistischen Italiens und später Nazideutschlands.
Hans Kläui beginnt für die frontistische Presse zu schreiben und prägt damit die programmatische Ausrichtung der Bewegung. Innert kurzer Zeit entstehen diverse Zeitschriften mit rechtsextremer Ausrichtung.
Hetzreden und Führergruss
Wie Hans Kläui geht es vielen anderen jungen Männern. Die 1930er-Jahre sind auch für die Schweiz eine wirtschaftlich schwierige Zeit. Die Arbeitslosigkeit steigt steil an: von 0.4 Prozent im Jahr 1928 auf fast fünf Prozent im Jahr 1936. In der Politik hallt der Landesstreik von 1918 weiter nach und ein tiefer Graben trennt die Linke von der Rechten.
Das ist ein fruchtbarer Boden für politische Randerscheinungen wie die Frontenbewegung, die Anhänger aus fast allen Bevölkerungs- und Altersschichten anzieht. Den politischen Stil schauen sie bei den Nachbarländern ab: Sie organisieren Massenaufmärsche mit Fahnen, Uniformen, Führergruss und Hetzreden. Auch Strassenschlägereien zwischen Fröntlern und Sozialisten sind keine Seltenheit.
Faschismus mit Schweizer Anstrich
Die Frontenbewegung verleiht dem Faschismus jedoch auch eine schweizerische Note. Der geistige Führerkreis, zu dem auch Hans Kläui gehört, besinnt sich auf die alte Eidgenossenschaft. Die damalige Ständegesellschaft sehen sie als Vorbild für eine autoritäre Schweiz des 20. Jahrhunderts.
Den Höhepunkt erreicht die Bewegung während des sogenannten Frontenfrühlings nach der Machtergreifung Hitlers im Jahr 1933. Bei den Nationalratswahlen im Jahr 1935, den einzigen, bei denen sich die Fronten beteiligen, holen sie je ein Mandat in Zürich und Genf.
Danach verliert die Bewegung an Schwung. Eine grosse Mehrheit der Schweizer Bevölkerung ist äusserst skeptisch eingestellt gegenüber autoritärem Gehabe im Stil Nazideutschlands. Bei den nächsten nationalen Wahlen treten die Fronten nicht mehr an.
Vergangenheit bleibt verschwiegen
Nach dem Krieg stehen die ehemaligen Fröntler zunächst im Abseits, viele werden zu Haftstrafen verurteilt und gesellschaftlich geächtet. Hans Kläui sitzt im Januar 1941 wegen staatsgefährlicher Propaganda für zwei Wochen im Gefängnis.
Sein und das Glück vieler Fröntler ist der Kalte Krieg: Die antikommunistische Hysterie der westlichen Welt öffnet ihnen eine Tür zurück in die Gesellschaft. Die bürgerliche Schweiz begrüsst jeden, der sich mit ihr gegen die rote Bedrohung aus dem Osten stellt.
Hans Kläui wird in Winterthur zum angesehenen Lokalhistoriker, seine rechtsextreme Vergangenheit verschweigt er konsequent.