Als die 26-jährige Jane Goodall 1960 im Gobe Nationalpark in Tansania ihr Zelt aufstellte und ungeduldig auf die Schimpansen wartete, wusste die Welt noch praktisch nichts über diese uns so nah verwandte Spezies.
Auch über die Bedrohung ihrer Lebensräume und unserer Umwelt war wenig bekannt. Heute ist das anders: Die Sorgen vieler Menschen, insbesondere der Jugend um den Zustand unseres Planeten sind riesig.
Je mehr ich das Verhalten der Schimpansen verstand, desto offensichtlicher wurde die Ähnlichkeit mit uns.
«Hoffnungslosigkeit ist überall ein Thema», sagt die fast 90-jährige Jane Goodall mit wachem Blick und zum Pferdeschwanz gebundenem weissen Haar. «Junge Menschen erzählen mir, dass sie wütend, hilflos oder apathisch sind.» Sie betrachte es als ihre Aufgabe, den Menschen Hoffnung zu geben.
Um vorwärts zu schauen, braucht es Mut, eine Vision und – wie sie es selbst immer wieder erleben durfte – Schlüsselfiguren in Mensch- oder Tierform.
Die Rolle der Mutter
Im Reich der Schimpansen gedeiht der Nachwuchs am besten, wenn die Mutter ihm die richtige Portion Zuneigung zeigt und ihn unterstützt. Männchen würden so später eher respektiert, Weibchen zu besseren Müttern. Ähnliches scheint für den Menschen zu gelten. «Ich bin meiner Mutter unendlich dankbar für ihre Unterstützung», erzählt Goodall.
Zum Beispiel als sie sich mit zehn Jahren unsterblich in Tarzan verliebte. Der Auserwählte heiratete zu ihrer Enttäuschung die falsche Jane. Doch «die Tarzan-Bücher schenkten mir den Traum, nach Afrika zu reisen und Bücher über wilde Tiere zu schreiben».
Nur die Mutter habe ihren Traum ernst genommen. Sie war es auch, die neben ihr im Zelt lag: in diesen ersten, zähen Monaten im Gombe Nationalpark. Sie ermutigte die junge Goodall, als sich die Affen ihr über Monate partout nicht nähern wollten.
Leakey und ein edler Kerl namens Greybeard
Eine weitere Schlüsselfigur war der Anthropologe Louis Leakey, der die wissensdurstige Jane zunächst als Sekretärin anstellte und ihr später anbot, wilde Schimpansen zu beobachten – zum grossen Unverständnis der Fachwelt, besass sie doch keinerlei theoretischen Vorkenntnisse. Genau das war ihr Vorteil. «Leakey wollte jemanden, der nicht vom reduktionistischen Denken der Wissenschaft zu dieser Zeit geprägt war.»
Wer jemanden überzeugen will, muss das Herz des Gegenübers erreichen, statt mit dem Finger auf ihn zu zeigen.
Sie beobachtete die Affen ohne Scheuklappen, füllte Notizbuch um Notizbuch. Sie gab ihnen Namen statt Nummern, attestierte ihnen Gefühle und Persönlichkeiten. Was für weitere Empörung sorgte, war für Jane eine Selbstverständlichkeit: «Wenn man Meerschwein und Katze einen Namen gibt, warum soll man ausgerechnet den Schimpansen, die so menschlich sind, eine Nummer geben?»
Dank David Greybeard, einem Affenmännchen mit ausgeprägtem Silberbart, der sie als Erster in seine Nähe liess, gelang ihr der Durchbruch.
Affen sind wie wir
«Ich beobachtete, wie er seine schwarze Hand ausstreckte, einen Grashalm abbrach, ihn vorsichtig in einen Termitenhügel drückte und die Termiten abbiss.» Diese Entdeckung, dass Affen Werkzeug benötigten und herstellten, war bahnbrechend. Bis anhin dachte man, nur der Mensch sei dazu fähig.
«Je mehr ich ihr Verhalten verstand, desto offensichtlicher wurde die Ähnlichkeit mit uns.» Affen hegten komplexe Gefühle wie Schuld, Ehrfurcht, Humor, hatten aber – wie die junge Frau bald schockiert entdeckte – auch dunkle Seiten und führten äusserst brutale Kriege.
Die Erkenntnis unserer Ähnlichkeit, heute biologisch belegt, revolutionierte die Forschung und unseren Blick auf die Tierwelt. Viele hätten verstanden: «Wir sind Teil der übrigen Tierwelt und nicht von ihr getrennt» und begannen im Interesse von Tier und Natur zu handeln.
Von der Primatenforscherin zur Umweltaktivistin
Nach langen Jahren der Beobachtung und Forschung wurde Jane Goodall an einer Schimpansen-Konferenz 1986 schlagartig bewusst, wie sehr deren Lebensräume bedroht waren. Sie erfuhr, wie die selbst ums Überleben kämpfende Bevölkerung die Wälder für Holzkohle abholzte. Sie sah, dass Tiere nur geschützt werden konnten, wenn der Bevölkerung geholfen wurde.
Es gibt noch ein Zeitfenster, in dem wir handeln können, doch es schliesst bald.
So startete sie ihre eigenen Entwicklungsprojekte, wurde von der Forscherin zur unermüdlichen Umweltaktivistin und reist seit fast 30 Jahren an 300 Tagen im Jahr für ihr Jane Goodall Institut, von dem es auch einen Ableger in der Schweiz gibt, um die Welt. Sie schreibt Bücher, spricht vor Menschenmengen.
Woher nimmt sie ihre Energie, ihren eisernen Willen? Vieles verdanke sie ihrer guten Konstitution, ihrem Talent zur Kommunikation und dem von der Mutter mitgegebenen Selbstvertrauen, das zu tun, was sie wolle.
Was uns am Handeln hindert
«Wir unterscheiden uns von den anderen Tieren, vor allem durch die explosionsartige Entwicklung unseres Intellekts», durch unsere Fähigkeit weiterzudenken. Diesen Intellekt sollten wir angesichts schwindender Artenvielfalt und Klimakrise dringend einsetzten – für die Zukunft, nicht gegen sie. «Es gibt noch ein Zeitfenster, in dem wir handeln können, doch es schliesst bald.»
Warum also handeln viele von uns trotzdem nicht? Einige hätten aufgegeben, sagt Jane Goodall. Andere möchten nicht nachdenken, sondern möglichst viel Geld machen. «Sie sagen, die Welt geht schon nicht gleich unter, holen wir alles aus ihr heraus, solange wir noch leben.» In vielen Menschen beobachte sie eine Trennung zwischen Verstand und Herz, die dazu führe, dass sie trotz der Liebe zu ihren Kindern nicht fragen, wie eine Entscheidung die künftigen Generationen beeinflusse, sondern die Aktionärinnen oder die anstehende politische Kampagne.
Und viele Menschen seien schlicht hilflos und überfordert. Die Probleme sind zu gross, zu komplex, die eigene Handlung scheint vergleichsweise nichtig. Das sei grundfalsch. Denn «es ist die Menge der Menschen, die nachdenken und im Kleinen handeln, die den Unterschied machen wird». Das ist Jane Goodalls Credo: Jede und jeder kann jeden Tag etwas tun.
Ihr Tipp: Nicht zu global denken, sondern lokal aktiv werden. Was kaufe ich ein? Wie wurde es produziert? Hat die Produktion Mensch und Umwelt geschadet? «Stellen sich genügend Menschen diese Fragen, baut das den Druck auf grossen Unternehmen auf.»
Kurz zusammengefasst brauche es jetzt Optimismus und ein neues Mindset.
Die Macht der Jugend
Weshalb Jane Goodall auf junge Menschen setzt? In ihnen sieht sie die Zutat, auf der auch ihr Erfolg beruhte: Eine Portion Naivität und ein frischer Blick, noch nicht zu sehr getrübt vom materialistischen Denken unserer Zeit. Ihnen müsse man helfen. «Wie können wir Kinder in die Welt setzen, wenn alle sagen: ‹Es gibt keine Hoffnung.› Wie kann man das einem Kind antun?»
Um dagegenzuhalten, gründete sie 1991 das Jugendprogramm «Roots & Shoots», das junge Menschen weltweit empowert, für Menschen, Tiere und die Umwelt aktiv zu werden. Die Aktivitäten dieser Jugendlichen geben auch ihr Hoffnung zurück. «Wenn junge Menschen die Probleme erst einmal verstanden haben und ins Handeln kommen, dann sind sie voller Energie, Leidenschaft und Entschlossenheit.»
Herz statt Wut
Und die Klimajugend? Würde die Grande Dame der Primatenforschung auch mit ihr mitkämpfen? Ja, sie könne sich gut vorstellen, an friedlichen Demonstrationen teilzunehmen. «Aber die entscheidende Frage wäre: Demonstrieren sie nur oder handeln sie auch?» Sind sie nur wütend oder treten sie in den Dialog mit Andersdenkenden?
Man müsse stärker an die Veränderungsfähigkeit der Menschen glauben. «Wer jemanden überzeugen will – eine Regierung, ein Unternehmen – muss zuhören und das Herz des Gegenübers erreichen, anstatt mit dem Finger zu zeigen.» Sage man nur wütend, was der andere falsch mache, werde man dieser Person nicht zuhören. Jungen Menschen schon gar nicht.
Bald müssen andere die Welt retten
Deshalb erzähle sie weiter Geschichten, die hoffentlich das Herz erreichen. Auch wenn es ihr langsam etwas zu anstrengend sei, 300 Tage im Jahr um die Welt zu reisen. Doch die Reaktionen der Menschen, die sie trifft, bekräftigen sie immer wieder weiterzumachen.
Erst kürzlich habe ihr ein CEO einer grossen internationalen Firma versichert, er werde sein Unternehmen nach ethisch nachhaltigen Standards verbessern. Ausschlaggebend für seine Entscheidung waren zum einen die Fakten zu Ressourcenknappheit, die steigende Nachfrage nach ethisch produzierten Produkten, aber vor allem seine kleine Tochter, die ihn fragte, ob er wirklich den Planeten zerstöre.
«Und auf diese Tochter müssen wir setzen.»