Die diesjährige re:publica stand ganz unter dem Motto «Into the Wild». Wer aber wilde Vorträge und verrückte Themen am grössten Bloggertreffen Europas erwartete, wurde enttäuscht. Zumindest was die grossen Veranstaltungen betrifft: «Into the Wild» stand laut Medienmitteilung für Strategien, sich den bekannten Wegen im Netz zu entziehen. Thematisch aber bestimmten altbekannte Themen die Hauptbühnen der Konferenz: NSA-Affäre, Computerrollenspiele, Smart Homes und Bildung im Netz.
Nur eine Veranstaltung vermochte dem Titel gerecht zu werden: Spiegelonline-Redaktor Ole Reissmann und Süddeutsche-Journalist Hakan Tanriverdi wagten einen Ausflug in die tiefsten Tiefen des Internets, dorthin, wo sich selten jemand verirrt. Mit gutem Grund: Was die beiden Journalisten an den Tag förderten, war nicht nur inhaltlich und ästhetisch verstörend, sondern zeigte auch ein World Wide Web, von dem man ganz froh sein kann, es nicht zu kennen.
Den Vortrag gliederten Reissmann und Tanriverdi in verschiedene Stufen mit ansteigendem Ekel-Gehalt.
Netzkultur WTF!?
Memes
Den Anfang machten verwertbare «Memes», also Bilder, Sprüche oder kurze Videos, die sich viral im Internet verbreiten, zum Trend werden und es in die Massenmedien schaffen. Dazu gehört zum Beispiel das «Rageface», das es aus Foren in den Tiefen des Internets in die breite Öffentlichkeit geschafft hat und auf T-Shirts und Aufklebern Mainstream wurde.
Songify
Songify ist ein Programm, mit dem man Stimmen von Leuten verändern und daraus Lieder basteln kann. Als Beispiel zeigten Reissmann und Tanriverdi das «OH MY DAYUM»-Video, in dem ein Mann seinen Hamburger besingt. Songify ist zwar aufwendiger, aber dennoch massentauglich: In Late-Night-Shows und sogar beim Obama- und Romney-Wahlkampf wurde das Programm benutzt. Oder mit Schweiz-Bezug der «Alles-gratis-Song».
Memefy
«Memefy» sind Memes, die sich auf Memes beziehen, die sich auf Memes beziehen. Sprich Pedo-Bear trifft Herr der Ringe trifft Variation von Rageface. Langsam ist man da angekommen, wo man weder Inhalt noch Sinn solcher Internetphänomene versteht.
Glitch
Glitch-Art ist eine Kunstform aus dem Internet, bei der Bilder manipuliert werden, indem Bits und Bytes verändert und als Videos neu zusammenschneidert werden. Die Künstler, die diese Form von Internetphänomen nutzen, verdienen gemäss Reissmann «mittelviel» Geld damit.
«Deep Youtube»
«Deep Youtube» ist eine Plattform mit abstrusen Videos, die nicht älter als fünf Monate und nicht viral sind, das heisst sehr wenig Clicks haben. Es sind Videos, die der normale Internetsurfer nie zu Gesicht bekommt und die nur dank des Deep Youtube Channels auf der Seite «reddit» ein wenig Aufmerksamkeit von Nerds bekommen.
Hitler
«Darf man über Hitler lachen? Ja, denn er ist ein ziemlich lächerlicher Typ» meinte Reissmann. Trotzdem seien Memes oder Videos mit Hitler eine ziemliche Gratwanderung: «Es gibt Tausende solcher Hitlervideos und viele darunter sind politisch fragwürdig und da fragt man sich in welche Richtung sich das bewegt», sagte Tanriverdi und verwies auf die höchste - respektive tiefste - Stufe: Der Troll. Den zeigen wir hier allerdings nicht mehr.
Am Ende der Präsentation blieben mehr Fragen als Antworten übrig. Ab wann ist etwas «Untergrund»? Was ist mit den Sachen, die noch tiefer lauern, da wo auch die Nerds nicht so schnell rankommen? Oder auch ganz einfach: Wieso in aller Welt nehmen sich Menschen die Zeit, solchen Schrott zu produzieren? Und zu konsumieren?
Alles Fragen, die Reissmann und Tanriverdi unbeantwortet liessen: Sie huschten mit einem verschmitzten Lächeln von der Bühne. Dazu lief ein gruslig manipuliertes Video von Miley Cyrus' «Wrecking Ball». Manchmal lässt sich Schund eben nur mit Schund beantworten.
Das wilde Internet, wie es an diesem Abend zu erleben war, gehört glücklicherweise nicht zum digitalen Alltag. Und das ist die beruhigende Erkenntnis.