Das Wichtigste in Kürze
- Früher waren wirtschaftliche, politische und administrative Eliten in der Schweiz eng verbunden. Das hat sich gelockert.
- Linke und rechte Politiker sind sich uneins, ob es eine Kluft zwischen Volk und Elite gibt.
- Auch Zugehörige einer Elite verwenden den Begriff oft negativ.
Wer zur «Elite» gehört, hebt sich vom Durchschnitt ab. Die Funktionselite bekleidet hohe Posten in Staat oder Wirtschaft. Die Leistungselite zeichnet sich in Studium und Beruf aus. Die Bildungselite hat studiert. Die ökonomische Elite besitzt Geld – und damit Macht.
Sportelite und schweizerische Nobelpreisträger schmäht niemand, die Meinungselite und die politisch Einflussreichen sehr wohl.
Reich, männlich, Schweizer
«Begriffe wie ‹Filz› und ‹Classe politique› gehören mittlerweile zum Vokabular von Teilen der Elite selber», schreiben Sozialwissenschaftler der Universität Lausanne. Den Zugang zu den Eliten regeln «ruppige Klassen- und Geschlechterhierarchien».
Zur Elite im Land gehörten bis Ende der 1980er-Jahre Männer aus reichem Elternhaus mit einem Abschluss in Recht oder an der ETH. Schweizer Staatsbürgerschaft und Offiziersrang waren bei Führungskräften Standard.
Globalisierung der Elite
Das änderte sich mit der Globalisierung durch «neue Management-Prinzipien, die Finanzialisierung der Weltwirtschaft und die Europäisierung», stellen die Lausanner Forscher fest. Die Verbindungen zwischen den wirtschaftlichen, politischen und administrativen Eliten lockerten sich.
An die Spitze vieler wichtiger Unternehmen traten ausländische Manager. Verwaltungsräte sitzen kaum noch im Parlament.
Kontaktpflege mit anderen gesellschaftlichen Akteuren zähle für Chefs von Schweizer Grossfirmen nicht mehr zu den Prioritäten, «zumindest nicht mehr auf Schweizer Ebene».
Politische Verwerfungen
Wie jemand Eliten wahrnimmt, hängt vom politischen Standpunkt ab. Bundespräsidentin Doris Leuthard sagt: «Einen Elite-Volk-Konflikt haben wir nicht – wir sind alle das Volk.»
Die angebliche Kluft sei konstruiert: «Der Graben wird aus meiner Sicht herbeigeredet. Wenn sich jemand in der Schweiz elitär gibt, wird er zudem ziemlich schnell wieder auf den Boden der Realität geholt. Und das ist auch gut so.»
Ganz anders tönt es seit Jahren von der SVP. «Die Elite hat vergessen, dass nicht sie, sondern die Mehrheit der Stimmbürger letztlich das Sagen hat», sagte Christoph Blocher kürzlich im Albisgüetli.
In seiner Rede «Landesverächter oder Volksvertreter?» zielte er einmal mehr aufs Establishment: «Gemäss Verfassung ist die sich aufspielende Elite den Bürgern untergeordnet und diese auf der Welt einmalige Staatsordnung ist für Frieden, Wohlergehen und Lebensqualität verantwortlich. Es geht nicht, dass eine ‹Schein-Elite› versucht, dieses Machtverhältnis staatsstreichartig umzukehren!»
«Von einem bösen Zauber verhext»
Neben der Polit-Elite, zu der man selbst natürlich nicht zählt, steht besonders die Meinungselite im Fokus. Der Berliner Medienwissenschaftler Norbert Bolz kommt zum Schluss, die Meinungselite überschätze sich. «Die Journalisten des sozial-progressiven Mainstreams belehren lieber als zu berichten.»
Mit den Funktions- und Leistungseliten habe die Gesellschaft kein Problem, «sondern mit jenen Intellektuellen, die zwar hervorragend gebildet, aber wie von einem bösen Zauber verhext sind. Ihr machtgeschützter, sentimentaler Diskurs benutzt die Ethik als Mittel des Rechthabens und stellt Andersdenkende an den Medienpranger.»
Elite als «Fixstern»
Nicht für alle ist Elite ein Schimpfwort. Aus liberaler Sicht stecke «nichts Unartiges» darin, zur Elite zu gehören, schreibt Michael Wiederstein, Chefredaktor des «Schweizer Monat»: «Relevant dafür sind weder Herkunft, Hautfarbe noch Schuhgrösse, sondern nur, dass man Leistungen erbracht hat, die entsprechende soziale und ökonomische Folgen zeitigten.» Die Elite sei «der Fixstern im Leistungsregime kapitalistischer Systeme».