Als Sprecherin des Schriftstellervereins PEN Berlin ist Bestsellerautorin Eva Menasse um Kunst- und Meinungsfreiheit besorgt: Sie beklagt das vergiftete Diskursklima im digitalen Raum und den «würgenden Wunsch» immer auf der richtigen Seite zu stehen. Lieber schweige man zu manchen Themen, als sich klar zu positionieren. Ein Fehler, wie sie findet.
SRF: Wie geht es Ihnen in diesen Zeiten, mit furchtbaren Kriegen und einer instabilen Weltlage?
Eva Menasse: Es geht mir nicht anders als den meisten Menschen. Es herrscht ein Gefühl von Überforderung und Aussichtslosigkeit. Aber mir ist klar, dass die Welt schon immer schrecklich war und wir heute einfach zu viel wissen. Wenn man dieses Wissen etwas zurückdrängt und die Geräte mal abschaltet, kann man wieder auf sein eigenes Leben schauen.
Darf man sich denn «zurückziehen» und über all das Unrecht schweigen?
Wir machen uns verrückt, wenn wir uns jede Sekunde mit den Schrecken der Welt beschäftigen. Die Flut an Informationen, die uns erreicht, macht uns hysterisch. Gleichzeitig lässt sie uns nicht besser reagieren – im Gegenteil.
Nach dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober hat man Ihnen als Sprecherin der PEN Berlin vorgeworfen, Sie hätten zu spät und zu wenig klar Position bezogen. Stimmt das?
Es war umgekehrt. In den ersten Wochen waren wir die Helden der Reaktion, weil wir für die Frankfurter Buchmesse unser Programm angepasst und sofort eine Israeldiskussion aufgesetzt haben. Gleichzeitig protestierten wir dagegen, dass der Literaturpreis für die palästinensische Schriftstellerin Adania Shibli zurückgenommen wurde. Als wäre sie verantwortlich für den Hamas-Anschlag. Ich halte das für einen kulturpolitischen Skandal.
Man hilft der offenen Gesellschaft nicht, indem man sie abschafft.
Als PEN Berlin haben wir vielfältig reagiert. Die Kritik kam Wochen später, als sich der Kulturbetrieb ein Opfer gesucht und unsere aktive Reaktion plötzlich aufgebauscht hat.
Die BDS-Bewegung («Boycott, Divestment, Sanctions») zielt auf die kulturelle und politische Isolation Israels ab und wird in Deutschland sogar als antisemitisch eingestuft. Trotzdem kritisieren Sie es als «Gesinnungsschnüffelei», wenn Kunstschaffenden aufgrund ihrer Nähe zu BDS Preise abgesprochen werden. Weshalb?
In ihrer ursprünglichen Idee war BDS als Boykottbewegung die Antithese zum Terrorismus: Das Ziel war, mit friedlichen Mitteln politische Ziele durchzusetzen. Obwohl ich die Idee von BDS ablehne, steht die PEN-Charta nicht für Kulturboykott. Wir können nicht Kunstschaffende dafür bestrafen, was ihre Regierung tut und ihre Werke danach bewerten. Man hilft der offenen Gesellschaft nicht, indem man sie abschafft.
Sie kritisieren linke Symbolpolitik. Ein Beispiel ist das Schalömchen-Tram in Köln in den Farben der Israel-Flagge und mit Davidstern. Damit lenke man vom eigentlichen Problem des wahren Antisemitismus ab.
In der öffentlichen Debatte ist das so. In Deutschland gibt es eine Serie von rechtsradikalen Mordtaten, die bis in die 1980er-Jahre zurückreicht. Es sind nach wie vor die Rechtsextremen, die zu Waffen greifen, Verschwörungsideologien verbreiten und versuchen, den Staat zu attackieren.
Stattdessen debattieren wir über den versteckten, strukturellen Antisemitismus in der Kulturszene. Es kommt mir vor, als wären das Ablenkungsdiskussionen, die am Ende niemanden schützen.
Das Gespräch führte Barbara Bleisch und ist ein Auszug aus der Sternstunde Philosophie.