Die eine hat sich eher spät für ein Kind entschieden, bei der anderen steht die Entscheidung noch aus: Christine S. (56) hat einen 18-jährigen Sohn, ist als TV-Produzentin («SRF Sternstunden») tätig und verheiratet. Nora W. (29), Religionswissenschaftlerin und SRF-Praktikantin, ist in einer Beziehung und macht sich aktuell Gedanken über die Kinderfrage. Wie entscheidet man sich für oder gegen eigenen Nachwuchs? Zwei Frauen aus zwei Generationen im Gespräch.
Christine S.: Ich bin immer wieder erstaunt, dass junge Frauen, die sich Gedanken über das Kinderkriegen machen, dies vor allem als riesiges Problem betrachten. Die Vorfreude auf einen neuen Lebensabschnitt mit Kind kommt erst viel später zur Sprache, wenn überhaupt.
Nora W.: Wenn ich diese Beschreibung von mir lese, «macht sich aktuell Gedanken über die Kinderfrage», dann sträubt sich alles in mir. Ich habe sofort den Impuls, klarzustellen, dass ich momentan nicht vorhabe, Mutter zu werden.
Aufgrund meines Alters und meines Umfeldes bin ich aber automatisch mit dieser Thematik konfrontiert – ob ich will oder nicht. Insofern löst das Thema «Kinderkriegen» bei mir eher negative als positive Emotionen aus. Sind das Gefühle, die du aus deiner Vergangenheit nicht abrufen kannst?
Christine: Ich habe alle möglichen negativen Auswirkungen für mein Leben – sofern man das überhaupt im Voraus wissen kann – präventiv «ausgeschlossen»: Ich wurde erst spät Mutter, mit 37 Jahren, als ich mich beruflich gefestigt hatte.
Mit meinem Partner habe ich vereinbart, dass wir uns die Familienarbeit teilen und ich weiterhin mindestens 80 Prozent in meinem Traumjob arbeiten kann. Wir wollten auch weiterhin reisen und einen Freundeskreis ausserhalb der «Kinderzone» pflegen.
Mit 37 Jahren Mutter zu werden, war für mich genau der richtige Zeitpunkt. Aber natürlich auch riskant.
Ich stellte mir damals vor, dass uns mit «nur» einem Kind alle Möglichkeiten offenbleiben und ich mich, beziehungsweise wir uns als Paar, nicht verlieren.
Nora: Hat es geklappt?
Christine: Zu meiner eigenen Überraschung hat es irgendwie ganz gut geklappt. Unser Sohn hat mich in meinem Leben nie eingeschränkt, nur bereichert. Das Einzige, worauf ich bis heute mit Zähneknirschen verzichtet habe, ist ein Job im Ausland. Das hätte ich sehr gerne noch gemacht. Woher kommen denn deine negativen Emotionen? Was lässt dich hadern?
Nora: Klingt so, als wäre es bei dir wirklich ziemlich gut aufgegangen. Diese Garantie hast du aber natürlich nicht, bevor du «es» wagst.
Die Vorstellung, ein Kind zu bekommen, macht mir ehrlicherweise Angst.
Für mich persönlich ist das Kinderkriegen momentan kein Thema, aber es wird immer wieder angesprochen, was mich nervt. Dazu macht mir die Vorstellung, ein Kind zu bekommen, ehrlicherweise Angst.
Christine: Angst wovor?
Nora: Die Vorstellung, dass ein Wesen in mir heranwächst, finde ich nicht gerade prickelnd. Was es dann aber mit meinem Leben anstellt, wenn es erst einmal da ist, das macht mir Angst: Was passiert mit den Beziehungen zu meinem Partner und meinen Freundinnen und Freunden? Kann ich mich weiterhin auf einen spannenden Job fokussieren und bekomme ich jemals wieder ausreichend Schlaf?
Ich glaube, es ist die Fremdbestimmtheit, die mich zum Hadern bringt und die Selbstbestimmtheit, die ich nicht verlieren möchte. Ich liebe es, spontan zu sein und nicht jetzt bereits zu wissen, was ich am Dienstagabend in einem halben Jahr machen werde.
Christine: Selbstbestimmtheit, Freiheit, Spontaneität: Eigentlich hast du dich ja bereits entschieden. Warum denkst du überhaupt noch über ein Kind nach? Hast du Angst, ein ganz besonderes Erlebnis zu verpassen, weil die biologische Uhr tickt? Vielleicht wäre ein «Social Egg Freezing» da eine Entlastung.
Nora: Nein, entschieden habe ich mich nur für die momentane Situation. Ich habe mir immer ein Leben mit Kindern vorgestellt. Das tue ich eigentlich immer noch, nur ist es plötzlich in eine ungemütliche Nähe gerückt.
Meine Hoffnung ist, dass sich in den nächsten fünf Jahren ein Kinderwunsch ganz von alleine einstellt.
Die Reproduktion ist ein faszinierendes Wunder dieser Natur. Es nicht wenigstens probiert zu haben, sehe ich tatsächlich als verpasste Chance, etwas Elementares dieses Lebens zu erfahren.
Meine Hoffnung ist, dass sich in den nächsten fünf Jahren ein Kinderwunsch ganz von alleine einstellt, der die Bedenken ausreichend in den Schatten stellt – klingt das naiv? Deshalb schiebe ich auch die Gedanken zum vorsorglichen Einfrieren von Eizellen noch ein wenig auf.
Du bist ja erst später Mutter geworden. Wärst du es gerne schon früher gewesen und hättest du dir eine Option wie das «Social Egg Freezing» gewünscht?
Christine: Mit 37 Jahren Mutter zu werden, war für mich genau der richtige Zeitpunkt. Aber natürlich auch riskant. Es hätte auch nicht mehr klappen können. Ein Leben ohne Kind wäre für mich zwar nicht sinnlos gewesen, aber um eine extrem reiche Erfahrung ärmer.
Wenn es nicht geklappt hätte, wäre ich wahrscheinlich froh gewesen, junge Eizellen eingefroren zu haben. Deshalb verstehe ich, dass manche Frauen mit dieser Möglichkeit liebäugeln.
Machst du das Kinderkriegen eigentlich von einem Partner oder einer Partnerin abhängig? Das «Co-Parenting» – also das Kinderkriegen ohne Liebesbeziehung zu einem anderen Menschen – wird gegenwärtig viel diskutiert. Genauso wie das Kinderkriegen ganz ohne Partnerin oder Partner.
Nora: Nicht unbedingt. Meine Skepsis gegenüber dem Kinderkriegen hängt auch mit meinem Grauen vor traditionellen Familienverhältnissen zusammen – Mutter-Vater-Kind, abgeschottet irgendwo in der «Agglo» und so weiter.
Ich würde es als Befreiung empfinden, wenn sich mehr alternative Lebens- und Familienformen in der Gesellschaft durchsetzen würden. Solche, die besser in die heutige Zeit und vielleicht auch in mein Leben passen.
Christine: Letztendlich ist die Entscheidung, Kinder zu bekommen oder nicht, eine existenzielle Wahl. Wir können nie genau vorhersagen, welche Auswirkungen diese Entscheidung haben wird, da wir uns mit den Folgen selber verändern. Aber gerade diese Unberechenbarkeit finde ich spannend, unabhängig davon, ob man sich für oder gegen Kinder entscheidet.