SRF: Im Kino läuft «Fifty Shades Darker», in der Werbung wird mit Sadomaso-Elementen gespielt, junge Frauen tragen Choker-Ketten, die ihren Ursprung in der SM-Szene haben – ist Sadomaso im Mainstream angekommen?
Caroline Fux: Ich glaube wir haben uns als Gesellschaft wegen des Popkultur-Phänomens «Fifty Shades of Grey» einfach daran gewöhnt, darüber zu sprechen. Der Begriff Sadomaso wird häufig plakativ gebraucht, man sieht etwa gleich die Lederpeitsche vor Augen. Das Phänomen Sadomaso ist aber etwas sehr Altes.
Der Begriff Sadomaso wird plakativ gebraucht.
Im Kern ist SM nichts anderes als eine überspitzte Inszenierung von stark und schwach, Nehmen und Genommenwerden, Dominanz und Hingabe. Diese Themen sind generell zentral in der Sexualität. Und schon wirkt SM nicht mehr wie etwas, das verborgen im Keller passiert. Sondern wie etwas, das zur «normalen» Sexualität gehört.
Wenn es alltäglicher geworden ist, über SM zu reden — merken Sie das auch an den Fragen, die Sie als Sex-Kolumnistin erhalten?
Nein, effektiv spüre ich das nicht so sehr. Denn Sexualität ist ein sehr trend-resistentes Arbeitsgebiet. Natürlich kommen ab und zu Fragen zu einer bestimmten Taktik – aber meine Vorgängerinnen haben in den letzten 30 Jahren bereits ähnliche Fragen erhalten. Denn für eine Splittergruppe unserer Gesellschaft war das Thema SM schon immer interessant. Das Vorbild muss ja nicht Christian Grey aus «Fifty Shades» sein. Es könnte auch der Marquis de Sade sein.
Sadomaso hat eine lange Kulturgeschichte, ist nicht erst ein Phänomen der Popkultur der Gegenwart. Weshalb faszinieren uns diese Fantasien?
Ich glaube, es ist ein sehr ursprüngliches, archaisches Thema. Und ich glaube das Phänomen SM hat wohl auch deswegen bei uns so eingeschlagen, weil wir uns mit einem sehr schwertun: Mit der Frau, die sich hingibt. Eine Frau sollte heute stark, emanzipatorisch und gleichwertig sein. Das beisst sich mit vielen Fantasien und darin liegt wahnsinnig viel Sprengkraft. Und wo Sprengkraft und Spannung drin sind, da sprühen auch in der Sexualität die Funken.
Sexualität kennt keine politische Korrektheit.
Die gesellschaftliche Realität ist mit dem, worauf wir Lust haben, nicht immer einfach zu verbinden: Sexualität kennt halt keine politische Korrektheit. Ich glaube es ist die Aufgabe der Gesellschaft und von jedem Einzelnen, sich zu fragen: Was erfüllt mich? Was macht mir Lust? Wo kann ich mich gehen lassen? Für den einen sind das diese BDSM-Geschichten – für jemand anderes zieht das kaum.
Die Soziologin Eva Illouz sagte im Hinblick auf den Hype um «Fifty Shades»: Gerade weil zeitgenössische Liebesbeziehungen sehr komplex und unbestimmt sind, sehnt man sich nach festen Rollen und sucht diese in der Sexualität. Teilen Sie diese Auffassung?
Durchaus. Aber für mich fast noch wichtiger: Ich glaube Sexualität ist nicht etwas wahnsinnig Durchdachtes. Das paradoxe an der Diskussion um SM ist in meinen Augen, dass viele Leute das Eindruck haben, bei Sadomaso schlage einfach einer den anderen. Das ist Quatsch. Gerade die BDSM-Spielarten sind sehr inszeniert, geplant, es gibt viele Regeln.
Diesen Aspekt erzählt «Fifty Shades» sehr schwach und vereinfacht. Wir erleben als Eskapismus, im Mantel eines Hollywood-Romantik-Kitsch-Films, was in der real gelebten Szene sehr viel Fertigkeit erfordert. Von den Personen, die sich selbst mit dem Thema befasst oder es gar ausprobiert haben, bestätigen mir alle, dass es eine sehr fürsorgliche Form von Sexualität ist.
SM erfordert viel Fingerspitzengefühl.
Man versucht bei SM ja die Grenzen des Untergebenen auszuloten, das erfordert sehr viel Fingerspitzengefühl und ein sehr waches Auge für sein Gegenüber: Wie viel verträgt es, auf der körperlichen, aber auch auf der geistigen Ebene? Wer nie eingetaucht ist, gedanklich oder aktiv, für den ist es einfach ein Draufhauen. Da besteht Übersetzungsbedarf zwischen diesen beiden Welten.
Heute wirken aber auch viele Darstellungen von Sadomaso fast schon prüde. Inwiefern ist SM der neue Blümchensex?
Wie ich die Fragen erlebe, die an mich getragen werden, und die Stimmung in der Gesellschaft, würde ich die These umdrehen. Viele Menschen gehen heute sehr offensiv mit ihrer Sexualität um, berichten etwa freimütig über ihren Pornokonsum oder über Besuche im Swingerclub.
Der wahre Tabubruch unserer Zeit ist für mich: Eine, vielleicht sehr bescheidene, aber in diesem Rahmen sehr erfüllende Sexualität. Dazu gehört es, auch sagen zu dürfen: Ich habe im Moment keinen Sex und es geht mir wunderbar damit. Das ist die viel grössere Provokation als zuzugeben, dass ich in meiner Nachttisch-Schublade das eine oder andere Sex Toy habe. Das bringt niemand mehr auf der Fassung.
Das Gespräch führte Mirja Gabathuler.
Kinostart von «Fifty Shades Darker»: 8. Februar 2017