Herr Scobel, die heutige Wissenschaft geht davon aus, dass unser bewusstes Erleben durch Vorgänge im Gehirn erzeugt wird. Es müsste also prinzipiell möglich sein, bestimmte Erlebnisse durch gezielte Stimulationen des Gehirns hervorzurufen. Könnte es sein, dass Sie bloss ein Gehirn im Tank sind, das durch elektrische Impulse kontrolliert wird?
Wohl eher nicht. Hilary Putnam, der Erfinder des Gedankenexperiments, bietet selbst eine genial einfache Widerlegung an. Um überhaupt denken zu können, dass wir Gehirne im Tank sind, müssten wir uns auf Dinge ausserhalb des Tanks beziehen können. Ohne eine Wechselwirkung mit der «wirklichen» Welt, der wir am Ende Vorstellungen und Sprache verdanken – die ja nie privat erfunden, sondern immer nur interpersonell erlernt sind – könnten wir gar nicht sagen, dass wir Gehirne im Tank sind. Zudem haben die Neurowissenschaften klar gezeigt, dass es funktionierende Gehirne ohne Körper nicht geben kann. Ich glaube also nicht, dass ich ein blosses Gehirn im Tank sein könnte.
Gibt es Dinge, die Sie mit absoluter Gewissheit wissen?
Eine Möglichkeit ist, an Privatoffenbarungen zu glauben. In diesem Fall weiss ich tatsächlich Dinge, von denen Sie und möglicherweise niemand ausser mir derzeit weiss. Mit dieser Haltung lassen sich gut Offenbarungsreligionen gründen. Leider lässt sich auf diese Weise weder Philosophie noch solide Wissenschaft betreiben, das heisst, es lassen sich keine empirisch überprüfbaren, kritisierbaren und wiederholbaren Erkenntnisse gewinnen. Gewissheiten lassen sich völlig beliebig produzieren: Man braucht nur zirkulär zu argumentieren und sich gegen alle Kritik zu immunisieren, schon hat man Gewissheit. Aber man hat keine Erkenntnis – worauf die kritischen Rationalisten wie Sir Karl Popper oder Hans Albert mit ihrer Forderung hingewiesen haben: Theorien müssten falsifizierbar, also empirisch widerlegbar sein.
Können wir die objektive Welt überhaupt erkennen?
Wahrscheinlich meinen Sie mit «objektiv» eine Welt, wie sie ohne uns ist. Also eine reine, von keinem Bewusstsein getrübte Welt der Dinge. Vielleicht auch eine Welt, wie sie den Pilzen erscheint oder den Kängurus. Ich ziehe es vor anzunehmen, dass Objektivität immer auch sozial konstruiert ist. Diese Inter-Objektivität reicht mir. Ich weiss nicht wie Pilze die Welt sehen – denn das «sehen» ist bereits eine Metapher, die aus meiner Welt stammt.
Spielt der skeptische Zweifel eine Rolle für unseren Alltag?
Natürlich – denn er macht wach. Skepsis hilft, Dinge, die nicht so sind wie sie auf den ersten Blick scheinen, tatsächlich als Dinge erkennen, die in Wahrheit anders sind als sie sich geben. Man muss kein investigativer Journalist sein um dieses hilfreiche Prinzip anzuwenden. Wir kommen der Wahrheit nur näher, wenn wir auch im Alltag unsere Überzeugungen dem harten Wind der Wirklichkeit aussetzen statt sie zu schützen. Genau das aber ist die Grundidee skeptischen Denkens.
Glauben Sie an einen Fortschritt des Wissens? Und wenn ja, woran machen Sie das fest?
Um sagen zu können, dass A ein Fortschritt gegenüber B ist, müssten wir A und B «objektiv» vergleichen können. Doch genau diese Objektivität, diesen Blick von nirgendwo haben wir nicht. Der Wissenschaftstheoretiker Thomas S. Kuhn war daher der Ansicht, dass wir in Wahrheit nicht immer mehr Wissen anhäufen, sondern immer nur neue Haufen bilden, die voneinander unterschieden sind. Das kann man Fortschritt nennen, wenn man will. Man kann es aber auch lassen.
Sollten wir für gewisse Überzeugungen einstehen, auch wenn wir wissen, dass wir möglicherweise falsch liegen?
Wäre das nicht immer wieder in entscheidenden Momenten der Menschheitsgeschichte geschehen, dann wären wir nie auch nur einen Schritt weiter gekommen. Fest steht, dass wir immer an etwas glauben, das heisst, uns auf etwas verlassen. Dieser Glaube muss sich bewähren. Manchmal steht man dann, wie Luther sagen würde, an diesem Ort und kann einfach nicht anders, obwohl man Zweifel hat. Manchmal geht es dann gut aus, trotz der Zweifel. Am Ende ist der Glaube, der trägt, der Glaube, der sich immer wieder bewährt, im Leben wie im Tod.
Das Interview wurde schriftlich geführt.