11. Januar 1988. In einer Nacht- und Nebelaktion stürmt eine Sondereinheit der Polizei einen jurassischen Bauernhof. Ihr Ziel: der kongolesische Intellektuelle Mathieu Musey, der sich dort seit neun Monaten versteckt hält.
Noch in derselben Nacht wird Musey samt Familie in einem gecharterten Privatflugzeug nach Kinshasa ausgeschafft. Zuvor hatte er 17 Jahre lang in der Schweiz gelebt und studiert. Bis ihm das Aufenthaltsrecht entzogen und sein Asylgesuch abgelehnt wurde.
Ein Exempel statuiert?
Die Anordnung zur Ausschaffung kommt von der damaligen Justizministerin Elisabeth Kopp persönlich. Die «Affäre Musey» ist damals wochenlang in den Medien. Nicht zuletzt wegen der spektakulären Ausschaffung stehen viele Spekulationen im Raum.
Wollten die Schweizer Behörden an Mathieu Musey ein Exempel statuieren? Wäre die Bundesanwaltschaft auch bei einem nicht-schwarzen Asylsuchenden so hart vorgegangen?
Historiker läuft auf
Diese Fragen hätten den Historiker Jonathan Pärli brennend interessiert, da er für seine Doktorarbeit über die Schweizer Asylpolitik in den 1980er-Jahren forschte.
Doch er bekam keinen Zugang zum Musey-Dossier. Die Begründung des Staatssekretariats für Migration: besonders sensible Personendaten. Mathieu Musey und seine Familie könnten in Kinshasa in Gefahr sein, wenn die Akten veröffentlicht würden.
Fragwürdige Begründung
Für Jonathan Pärli klingt das unplausibel: Weil keine Verfolgungsgefahr im Heimatland bestehe, wird einem Asylsuchenden und seiner Familie das Asylrecht in der Schweiz verwehrt. Ein paar Jahrzehnte später fürchtet man sich um deren Sicherheit. «Das riecht nach bürokratischem Geheimhaltungsinteresse», sagt Pärli.
Er ist nicht der Einzige, der bei der Bundesverwaltung abblitzt. Gleich erging es jüngst der Historikerin Regula Bochsler, die auf eine Akte stiess, in der der Name des Naziverbrechers Josef Mengele vorkommt.
Zu strenger Personenschutz
Der Personendatenschutz werde bei älteren Akten zu streng angewandt, findet Sacha Zala. Der Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Geschichte fordert darum eine Änderung der Praxis.
«Die Beamten, die die Einsichtsgesuche bearbeiten, sind in der Regel keine Historiker, sondern Juristinnen und Juristen», sagt Zala. Wer ein Einsichtsgesuch gutheisse, riskiere, dass unangenehme Informationen aus der Vergangenheit an die Öffentlichkeit gelangen.
Neue Wege gesucht
Sacha Zala zeigt Wege, wie man verhindern könnte, dass historische Akten unter Verschluss bleiben. Er fordert eine Schlichtungsstelle, die zwischen der Bundesverwaltung und den Historikerinnen und Historikern vermittelt.
Zudem müsse das Bundesarchiv mehr Kompetenzen bekommen, um sich aktiv bei Ämtern für die Archivzugänglichkeit und die Forschungsfreiheit einzusetzen.
Das Bundesgericht entscheidet
Jonathan Pärli akzeptierte die Absage nicht und zog damit vor Bundesgericht – und bekam Recht. Das Bundesverwaltungsgericht muss jetzt nochmals prüfen, ob das öffentliche Interesse am Fall Musey oder der Personendatenschutz höher zu gewichten ist.
Ein Gerichtsentscheid ist frühestens 2023 zu erwarten. Für Pärli zu spät: Er musste seine Doktorarbeit ohne die wichtigen Informationen über die Affäre Musey abschliessen. Mathieu Musey ist letztes Jahr verstorben.