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Sie würde am liebsten mit vielen Regisseurinnen arbeiten, sagt Anna Bergmann, Schauspieldirektorin in Karlsruhe: «So mit etwa 80 Prozent.»
Ihr Chef, Intendant Peter Spuhler, antwortet mit einer Gegenfrage: «Warum nicht mit 100 Prozent?» Gefragt, getan: In der aktuellen Spielzeit inszenieren am Theater Karlsruhe in Schauspielproduktionen nur Frauen. Eine Frauenquote von 100 Prozent.
Auf die freie Wirtschaft übertragen hiesse das: Ein CEO sagt zu seiner Abteilungsleiterin, sie könne als Teamleiter ausnahmslos Frauen einstellen.
Viel Freude, viel Kritik
Nach der Entscheidung von Bergmann und Spuhler brach nicht nur Freude aus, wie auf dem Portal «Nachtkritik» nachzulesen ist. Von «PR-Trick» ist da zu lesen, von «Rassismus». Männliche Regisseure wurden aufgefordert, zu klagen.
Andere fanden es gut, denn in kulturellen Leitungspositionen sind Frauen deutlich unterrepräsentiert, wie die deutsche Studie «Frauen in Kultur und Medien» aus dem Jahr 2016 zeigt.
Strebt man eine einigermassen ausgeglichene Repräsentanz der Geschlechter in Leitungsfunktionen an, könnte eine Frauenquote ein probates Mittel sein.
Was sagen Kulturschaffende? Was spricht für eine Frauenquote, was kann sie überhaupt leisten?
Diesen Fragen sind wir in den Branchen Theater, Museum und Film nachgegangen.
THEATER – Frauen vor und hinter der Bühne
Hayat Erdoğan, Tine Milz und Julia Reichert sind das neue Leitungstrio des Zürcher Theater Neumarkt. Sie sind als Dramaturginnen mit unterschiedlichen Schwerpunkten angetreten und «nicht als Frauen», sagt Reichert. Auch der Verwaltungsrat des Theater Neumarkt erwähnte in seiner Presseerklärung das Geschlecht mit keinem Wort.
Zum Gespräch kommen Hayat Erdoğan und Julia Reichert, die erklärt, sie hätten viele Glückwunschbotschaften aus der Theaterszene erhalten, mit «tollen, herzerwärmenden Komplimenten». Häufig habe es geheissen, es freue besonders, «weil ihr Frauen seid».
Intensiv als Frauen thematisiert
«Wir drei werden sehr intensiv als Frauen thematisiert», sagt Reichert. «Unsere Berufung ist sicherlich ein positives Signal, aber wir haben künstlerische Identitäten und Biografien, Netzwerke und Erfahrungen. Wir sind mehr als ‹drei Frauen›.»
Die Unterrepräsentation von Frauen in Führungspositionen sei ein Phänomen, das sich leicht identifizieren liesse. «Uns interessieren Probleme, die tiefer liegen. Die Mechanismen von Ausschluss sind komplizierter.»
Denkstrukturen ändern
Für Hayat Erdoğan ist es ist nicht damit erledigt, zu sagen, «bei uns inszeniert eine Frau und die ist sogar nicht weiss – während auf struktureller Ebene nichts verändert wird». Das sei geradezu absurd: «So wird nur an der Oberfläche gekratzt.» Man müsse tiefer gehen.
Ihr Führungsverständnis sei ein anderes als das von alteingesessenen «Boys Clubs», sagt Julia Reichert. «Wir leiten zu dritt, gleichberechtigt. Da hat es schon automatisch ‹Checks and Balances›. Wir wollen auf Augenhöhe und transparent führen. Bei uns wird es auch keinen Gender-Pay-Gap geben. Unterschiede in der Bezahlung gibt es nur nach Alter und Berufserfahrung.»
Die Quotendiskussion lenke von tiefergehenden Problemen ab, sagt Hayat Erdoğan. «Es gibt nicht die Männer, die Frauen. Es geht darum, hegemoniale Denkstrukturen offenzulegen und aufzuwirbeln.»
Damit meint sie Klischees wie das von Frank Castorf, ehemaliger Intendant der Berliner Volksbühne, der im Interview der Süddeutschen Zeitung sagte, er kenne kaum gute Regisseurinnen. Männer seien einfach besser – genauso wie im Fussball auch.
Alte Gönner, alte Denke
Erdoğan findet das Castorf-Statement «sehr gönnerhaft». Das verdiene nicht mal eine Reaktion. «Er folgt der durchsichtigen Strategie der Empörungslogik. Castorf gehört zur alten Garde eines Kunstbegriffs. Er glaubt noch an den Geniebegriff, der das Gesamtkunstwerk schafft. Und der ist männlich.»
Diese Klischees, Macht- und Ausschlussmechanismen interessieren weder Erdoğan noch Reichert: «Wir verzichten auf Angst als strategisches Führungsmittel. Angst ist immer noch ein Problem in vielen Strukturen. Verblüffend. Aber ohne uns.»
Ein Klima des gegenseitigen Respekts sollte eigentlich selbstverständlich sein: «Daran sind wir interessiert.»
«Die Probleme gehen tiefer»
Rolf Sommer ist Schauspieler und Mitglied des Schweizerischen Bühnenkünstlerverbands SBKV. Er könne nicht für den Verband als Ganzes mit seinen 1400 Mitgliedern sprechen, aber als Schauspieler, Beobachter und Berichterstatter.
Er meint, dass die Probleme im Theater tiefer gehen, als dass sie eine Quote lösen könnte: «Wir Leute aus der Kulturbranche glauben immer, wir seien progressiv, wir kritisieren die Gesellschaft und halten uns für ziemlich modern. Dabei hinken wir in Sachen Anstellungsbedingungen und Lohndifferenz der Privatwirtschaft eher hinterher. Wir müssen erkennen, dass wir ein Problem haben.»
Das beginne schon bei Alltäglichkeiten. «Warum gibt es in Theatern keine Kinderkrippe? Warum gibt es keine Teilzeitstellen? Ich kenne nur ganz wenige Kollegen, die eine Festanstellung an einem Theater haben, und dennoch weniger als 100% arbeiten dürfen. Das sind doch fast alles Mütter und Väter. Ist das wirklich so kompliziert?»
MUSEUM – Frauen in der Kunstszene
In der Londoner Tate Gallery werden im April sämtliche Werke von Männern abgehängt und stattdessen 60 Werke von Malerinnen ausgestellt.
In der Sektion für britische Kunst seit 1960 sind dann ausschliesslich Arbeiten von Künstlerinnen zu sehen, darunter Sarah Lucas, Mona Hatoum und Bridget Riley. Es ist eine der Initiativen der Tate-Galerien, um die Präsenz von Malerinnen zu fördern.
Für Elke Buhr, Chefredaktorin der Kunst-Zeitschrift Monopol, ist die neue Hängung in der Tate Gallery «ein grossartiges Signal, den Blick einmal umzudrehen».
Wegen der zeitlichen Begrenzung müsse niemand Angst haben, männliche Künstler würden verbannt. In diesem begrenzten Format sei die Quote durchaus sinnvoll. «Dort werden namhafte Künstlerinnen gezeigt. Aber seien wir ehrlich: Ausserhalb des versierten Kunstpublikums kennt die kaum jemand. Das ändert sich jetzt.»
«Wenn am üblichen Kunstkanon etwas geändert wird, bricht oft Panik aus», sagt Elke Buhr. Manche würden von Verbannung oder Zensur reden. Das sei es aber nicht. «Es ist eine kuratorische Entscheidung. In den meisten Museen sieht man heute die immergleiche Version der Kunstgeschichte. Das ist zu eng.»
«Sonst wäre es langweilig»
Schon vor vielen Jahren sei es der Tate Gallery um mehr Diversität gegangen. «Kunst internationaler, globaler zu begreifen und zu hängen, das macht die Tate seit Jahren sehr gut. Ich finde die Ausstellungspolitik grossartig, den eingefahrenen Kunstkanon immer wieder aufzulösen und zu erweitern. Sonst wäre es ja so langweilig wie bei McDonald’s.» Deshalb ist Elke Buhr in diesem Kontext für eine Quote.
Wenig Einfluss nehmen könne man beim Zugang für Künstlerinnen zum Kunstmarkt: «Wir wissen, dass sehr viele junge Frauen an Akademien Kunst studieren, dass aber schon deutlich weniger erste Schritte ins Berufsleben machen. In Galerien sind noch weniger Künstlerinnen vertreten. Das kann statistisch nicht alles nur an den Frauen liegen.»
FILM – Frauen vor und hinter der Leinwand
Nicole Schroeder, designierte Ko-Leiterin der Weiterbildungsstiftung Focal, ist seit Jahren mit Fragen der Geschlechtergerechtigkeit in der Schweizer Filmbranche beschäftigt.
Sie sei prinzipiell für eine Quote, denn diese sei ein einfaches Werkzeug, um die vermehrte Beteiligung von Frauen schnell und nachhaltig zu implementieren.
Schroeder war 2014 beteiligt an der Lancierung der Studie «Die Gender-Frage: Zahlen und Fakten aus der Schweizer Filmförderung». Sie ist der Überzeugung: «‹Data› ist die Mutter aller Dinge: Daten sammeln, statt mit Vermutungen hantieren.»
Die Zahlen wurden im Januar 2015 vorgestellt: «Sie zeigten eine ungleiche Vergabe der Gelder der öffentlichen Filmfonds an Frauen und Männer.»
79 Prozent des Geldes ging an Männer
In der Schweiz wurden in den Jahren 2013 und 2014 Projekte von Regisseuren mit 55 Millionen Franken unterstützt, während Projekte von Regisseurinnen mit 14 Millionen Franken unterstützt wurden – was bedeutet, dass Männer 79 Prozent des Geldes erhielten. Bei den Filmförderungen in der Schweiz wurde ein erhebliches Ungleichgewichtsmuster festgestellt.
Diese Zahlen schufen ein anderes Bewusstsein, sagt Schroeder. Eine Reihe von Aktivitäten wurde initiiert: «Mit jedem Anlass stieg das öffentliche Interesse. Nach und nach interessierten sich alle relevanten Institutionen.»
2016 entwickelte ein nationaler und internationaler Think Tank spezifische Gender Equality Tools für die Schweizer Filmindustrie.
Im selben Jahr nahm die nationale Filmförderverordnung erstmals Gender-Kriterien auf. Seit 2017 wird vom Bundesamt für Kultur ein permanentes Monitoring durchgeführt.
Schroeder sagt, es gehe nicht nur um die Verteilung des Geldes, sondern darum, dass das audiovisuelle Schaffen der Schweiz auch deren Gesellschaft wiederspiegle.
Es sei wichtig, dass Frauen – also die Hälfte der Bevölkerung – repräsentiert seien. Schroeder betrachtet ein Gleichgewicht als identitätsstiftend.
Gegen die Quote
Susa Katz, stellvertretende Leiterin der Zürcher Filmstiftung, hingegen sagt: «Eine Quote bringt nichts, aber die Debatte darüber ist wichtig. Sie schafft eine Aufmerksamkeit für Vielfalt.»
Die Vielfalt, die Katz meint, findet sich in der Arbeit der Kommissionen wieder, die Gelder für audiovisuelle Projekte vergeben. Sie berücksichtigen dabei viele Faktoren wie Geschlecht, Kultur, Generation, Zusammensetzung der Teams. Auch Inhalte wie Rollenbilder und -verständnisse, Relevanz des Themas, Kontinuität, Ästhetik und Qualität spielen eine Rolle.
«Bei uns wird nicht abgestimmt», sagt Katz. «Wir haben den Auftrag, Vielfalt über das Medium Film zu erzählen. Frauen sind ein wichtiger Teil der Kultur und der Gesellschaft, die müssen vorkommen. Aber das ist nicht das einzige Kriterium.»
Zahlen sind nicht alles
Sie findet, statistische Zahlen hätten Klärungsbedarf. Wie werden Zahlen erfasst? Wie wird gezählt? Mit Zahlen alleine sei man noch keinen Schritt weiter.
«Frauen sind in allen Berufssparten und Prozessen der Filmindustrie beteiligt», sagt Katz. «Viele Produktionsfirmen werden von Frauen geführt. 2017 kamen 45 Prozent der Projekte von Produktionsfirmen, bei denen eine Frau an der Spitze steht. Einige Unternehmen sind von Mann und Frau geführt. Wie zählt man die?» Es sei absurd, nach Geschlecht zu entscheiden. «Wir beurteilen in den Kommissionen die Gesamtheit des Projekts.»
Wie wird Vielfalt besser möglich?
Die Diskussion über Vielfalt habe zur Frage geführt, wie Vielfalt besser möglich werde. Bei der Zürcher Filmstiftung wechseln Kommissionsmitglieder spätestens nach vier Jahren, um Machtverhältnisse durch Dynamik zu verändern.
Lähmend für jedwede Vielfalt sei die Besitzstandswahrung, so Katz: «Anderswo bleiben Mitglieder zu lange in Kommissionen kleben oder werden weitergereicht. Bei uns ist der Wechsel im Voraus festgelegt. Sonst bewegt sich nichts in den Strukturen.»
«Nur einer von vieren»
Kehren wir zurück ans Theater in Karlsruhe, wo seit dieser Spielzeit im Schauspiel nur Frauen inszenieren. Generalintendant Peter Spuhler sagt, er sitze mittlerweile einem Leitungsteam aus drei Frauen gegenüber.
Da sei manches anders als unter Männern. Bei denen würde die Nummer zwei oder drei warten, was die Nummer eins meint. Männer seien nach oben orientiert.
Mit den drei Frauen sei das anders, so Spuhler. Flacher, mit einer «kreisenden Entscheidungsfindung». Er sei jetzt «nur einer von vieren».