Der Frauenstreik vom 14. Juni 1991 war eine Sensation, die es bis auf die Titelseiten der Frankfurter «Rundschau» und der spanischen Tageszeitung «El Pais» schaffte. Das Ausland kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, hinkte doch die Schweiz im europäischen Vergleich punkto Gleichstellung schwer hinterher.
Gerade erst hatte man über das Land der Eidgenossen noch gespottet, als der Kanton Appenzell Innerrhoden 1990 trotz des Gleichstellungsartikels in der Verfassung dazu gezwungen werden musste, die Frauen abstimmen und wählen zu lassen.
Kampf um gleiche Rechte
Doch nicht nur die politische, auch die ökonomische Gleichstellung kam kaum voran. Frauen verdienten bedeutend weniger als Männer. Brachten sie ein Kind zur Welt, mussten sie unbezahlte Ferien nehmen. Wenn sie sich scheiden liessen, wurden sie arm, blieb die Pensionskasse doch beim Mann.
So war es nicht zufällig, dass die Idee für einen nationalen Frauenstreik von einer Frau kam, die wirtschaftlich untendurch musste: von der Uhrenarbeiterin Liliane Valceschini aus dem Vallée de Joux. Sie wollte auf Dauer nicht hinnehmen, dass sie weniger verdiente als ein Mann.
Lila Luftballons
An einem Abend habe sie sich mit zwei Arbeitskolleginnen besprochen. Dabei habe man es lustig gehabt und sich schliesslich mit der Idee an die Genfer Gewerkschafterin Christiane Brunner gewandt. Jetzt ging es voran: Am 14. Juni 1991 war es soweit.
Lila Luftballons, verschränkte Arme und demonstrative Sitzstreiks prägten das Bild auf Strassen und Plätzen, an vielen Orten wurde der Verkehr blockiert. Eine Performance mit Transparenten und Megaphonen, mit Kinderwagen und Laufgittern.
Politischer Aufbruch
Tausende reisten nach Bern und protestierten vor dem Bundeshaus, den Streiksong von Vera Kaa im Ohr. Auch die Gewerkschafterin Christiane Brunner war vorne mit dabei.
Der Streik 1991 war ein politischer Aufbruch für die Frauen, wie ihn das Land noch nie gesehen hatte. Doch bei vielen Arbeitgebern blieben die Löhne unverhandelbar. Und bald wurden die Frauen vom alltäglichen Sexismus eingeholt. In jenem Moment, als Christiane Brunner im März 1993 als Kandidatin für die Bundesratswahl antrat.
Da schlugen ihre politischen Gegner unter der Gürtellinie zu: Mit dem Aussehen einer Serviertochter hätte sie das Zeug zur Landesmutter nicht, hiess es. An ihrer Stelle wurde mit Francis Matthey ein sozialdemokratischer Mann gewählt.
Dies führte gleich noch einmal zu einem manifesten Frauenprotest in Bundesbern. Der Gewählte nahm die Wahl nicht an und machte schliesslich Ruth Dreifuss Platz.
Frauen im Parlament
Im Nachgang dazu – man sprach vom Brunner-Effekt – zogen vermehrt Frauen in Parlamente und Regierungen ein und setzten ihre Themen auf die politische Agenda. So kam es im Jahr 2000 zu einem neuen Scheidungsrecht und zwei Jahre später zu einem straffreien Schwangerschaftsabbruch.
Es folgten eine Mutterschaftsversicherung und ein Förderprogramm des Bundes für mehr Kinderkrippen. Der Frauenstreik 1991 und der solidarische Protest bei der Nichtwahl einer Bundesrats-Kandidatin trugen damit massgeblich zu einer Besserstellung der Frauen im Land bei.