Was tun mit all den Flüchtlingen, die nach Europa wollen? Retten? An Land lassen? Zurückschicken? Christinnen und christliche Organisationen berufen sich gerne und schnell auf die Nächstenliebe. Doch was genau steht in der Bibel zum Umgang mit Flüchtlingen?
«Es ist kompliziert», sagt Kim Strübind, Professor für das Alte Testament an der Universität Oldenburg. Die Bibel sei voller Fluchtgeschichten, angefangen bei Adam und Eva. «Es gibt Kriegsflüchtlinge, Wirtschaftsflüchtlinge, ja mit Noah gar Bootsflüchtlinge.»
Eine erfolgreiche Integrationsgeschichte?
Und doch ist der Umgang mit Flüchtlingen in der Bibel zwiespältig. Das zeigt etwa die Geschichten von Ruth. Ruth flüchtet mit ihrer Schwiegermutter nach Juda – aus Angst vor der Armut. Dort heiratet sie den reichen Bauern Boas.
Er hatte ein Auge auf sie geworfen, sie hatte sich halb nackt zu ihm ins Bett gelegt. Eine erfolgreiche Integrationsgeschichte? «Ja – aber», sagt Kim Strübind. «Ruth findet zwar eine neue Heimat und soziale Sicherheit, aber erst, als sie sich ganz und gar assimiliert.» Integration durch totale Anpassung.
Gleichzeitig entstand die Geschichte von Ruth in einer Zeit, in der Mischehen verboten waren. Die Moabiterin Ruth hätte den Juden Boahs nicht heiraten dürfen. Dass sie es trotzdem tut und damit zur Vorfahrin von David und von Jesus wird, ist ein starkes Zeichen für mehr Toleranz gegenüber Fremden.
Praxis statt Theorie
Wenn man die Bibel also sorgfältig lese, sagt Theologieprofessor Kim Strübind, werde deutlich: «Es gibt keinen theoretisch moralischen Standpunkt, sondern nur praktische Beispiele – aus dem Leben gegriffen.» Beispiele, die ganz unterschiedliche Antworten liefern auf die Frage, wie man mit Fremden umzugehen hat.
Nur jene Stellen der Bibel zu lesen, die die eigenen Ansichten moralisch untermauern, findet Kim Strübind unzulässig.
«Wir sind alle Fremde»
Die Bibel genauer lesen und über die Nächstenliebe hinaus gehen, das tut auch Annette Weissenrieder, Professorin für das Neue Testament an der Universität Halle-Wittenberg. Sie betont: «Die frühen Christusgläubigen waren alle Fremde.» Die gesamte frühe Christenheit – eine einzige Migrationsgemeinde.
Dadurch, dass sich die Christinnen und Christen nicht an die Regeln der Zeit hielten, den römischen Kaiser etwa nicht als gottgleich anerkannten, wurden sie fremd. Und dieses Fremdsein wurde dann zu ihrer neuen Identität.
«Das können wir auf unsere Zeit übertragen», findet Annette Weissenrieder. Indem wir die Gesellschaft mit den Flüchtlingen verändern, statt zu versuchen, die Flüchtlinge in unsere Gesellschaft zu integrieren.