SRF: Marisa Birri, Sie haben für «Terre des Femmes» vor gut zwei Jahren eine Bestandsaufnahme zur weiblichen Genitalverstümmelung gemacht. Heute weiss man, es leben rund 14`700 betroffene Frauen in der Schweiz. Woher kommen diese Frauen?
Marisa Birri: In der Schweiz sind es vor allem Frauen aus Somalia und Eritrea. Aber nicht nur. Es gibt auch viele Frauen aus Äthiopien, Ägypten und dem Sudan und westafrikanischen Ländern, die betroffen sind und bei uns leben.
Es gibt deutlich weniger Verstümmelungen als früher.
Am 6. Februar ist der Internationale Tag gegen die weibliche Genitalverstümmelung. Was versprechen Sie sich davon?
Sensibilisierung, Aufklärung und einen Schub in die richtige Richtung. Es ist auch ein Gedenktag für all die Frauen und Mädchen, die diese Versehrung erleiden mussten und dadurch nachhaltig geschädigt sind.
Wir gedenken auch der Mädchen und Frauen, die wegen FGM (Female Genital Mutilation, Anm. der Red.) verstorben sind. Der 6. Februar ist aber auch ein Tag, an dem bewusst gemacht wird, was Aktivistinnen und Aktivisten gegen FGM schon erreicht haben. Immerhin ist klar, dass es deutlich weniger Verstümmelungen gibt als früher.
Was tut die Schweiz dagegen?
In der Schweiz ist FGM verboten. Seit 2012 gibt es einen Artikel im Strafgesetzbuch, der besagt: Wer ein Mädchen beschneidet, besser gesagt verstümmelt, macht sich strafbar. Wir haben bisher aber noch kein Strafverfahren gehabt in unserem Land.
FGM ist in bestimmten Kulturen eine soziale Norm mit grosser Tradition und vielen hartnäckigen Mythen.
Neben dem rechtlichen Aspekt – welche Zeichen werden auch noch gesetzt?
Wir setzen von «Terre des Femmes» auf Aufklärung und Prävention. Da ist viel passiert bei den Gynäkologinnen und Geburtshelfern. Aber wir setzen auch auf Prävention an Schulen.
Und selbstverständlich unterstützen wir die vielen Menschen, die in den jeweiligen Kommunen der Herkunftsländer aktiv werden gegen das, was bei uns unter Kindesmisshandlung fällt.
Wie kann den Frauen geholfen werden, die bei uns leben und unter Spätfolgen der Versehrung leiden?
Es ist klar, eine Genitalverstümmelung kann auch mit ausgeklügelter Chirurgie nicht rückgängig gemacht werden. Aber die Spätfolgen können behandelt werden: Inkontinenz, Fisteln, Infektionsherde und anderes.
Solche Eingriffe sind bestimmt psychologisch heikel. Wie werden die Frauen begleitet?
Es gibt in Genf ein Pionierprojekt. Eine Sprechstunde «Consultation mutilations sexuelles féminines», die von der Ärztin Jasmin Abdulcadir geleitet wird. In Freiburg ist die Fachstelle für sexuelle Gesundheit sehr engagiert und informiert. In der Deutschschweiz gibt es auch ein paar wenige Fachfrauen, aber da gibt es noch einiges zu tun.
Handelt der Bund?
Auf nationaler Ebene läuft es momentan gut. Der Bundesrat hat vor einem Jahr entschieden, ein vierjähriges Projekt zu finanzieren: Das Netzwerk gegen Mädchenbeschneidung Schweiz. «Terre des Femmes» hat es gegründet in Zusammenarbeit mit Caritas Schweiz, der Fachstelle für sexuelle Gesundheit und dem Schweizerischen Kompetenzzentrum für Menschenrechte.
Was haben Sie in diesen vier Jahren vor?
Es wird eine Website geben für Betroffene und Fachleute. Wir leisten Beratungsarbeit und entwickeln Präventionsprojekte. Wir leiten Weiterbildungen zum Thema und versuchen auch in der deutschen Schweiz Kompetenzzentren aufzubauen.
Die Arbeit wird uns in diesen vier Jahren nicht ausgehen. Denn FGM ist in bestimmten Kulturen eine soziale Norm mit grosser Tradition und vielen hartnäckigen Mythen. Und die Schweiz braucht eine Strategie. Die fehlt noch.
Das Gespräch führte Cornelia Kazis.
Sendung: SRF 2 Kultur, Kontext, 6.2.2017, 9:02 Uhr.