Abdallah Cohen heiratet. Was überall im Nahen Osten ein grosses Ereignis ist, wird im Dorf Kiryat Luza auf dem Berg Garizim im Westjordanland noch ein bisschen grösser gefeiert.
Cohen ist nämlich weder Jude noch Muslim noch Christ, sondern Samaritaner. Samaritaner sehen sich als Nachfahren der zwölf Stämme Israels und Hüter der Torah, so wie es auch Jüdinnen und Juden tun.
Ein Volk zwischen Israel und dem Westjordanland
Für Abdallah Cohen hat seine Hochzeit eine besondere Bedeutung: «Um den Fortbestand unserer Gemeinschaft zu sichern, müssen wir heiraten und Kinder bekommen.»
Nur noch 850 Samaritaner gibt es. Sie verstehen sich nicht nur als Religionsgemeinschaft, sondern auch als Volk. Die Zugehörigkeit wird vom Vater an den Sohn weitergegeben.
Die Samaritaner leben heute je zur Hälfte in Israel und im Westjordanland, beziehungsweise in Samaria, wie die Gegend in der Bibel heisst. Samaria ist die Heimat der Samaritaner, der Berg Garizim ihr Heiligtum.
Die Stadt Nablus – in der Bibel trägt sie den Namen Sichem – war viele Jahrhunderte lang ihr spirituelles und wirtschaftliches Zentrum.
«Meine Grosseltern haben noch in Nablus gelebt und mir von den alten Synagogen erzählt, die es da zu entdecken gibt», sagt Cohen. Heute ist Nablus eine palästinensische Metropole und, wie Jerusalem und Hebron, einer der Brennpunkte im palästinensisch-israelischen Konflikt.
Ein verwirrender Gottesdienst und ein offener Geist
Der belgische Fotograf und Filmemacher Gaël Turine hat Abdallah Cohen während seiner Suche nach den verfallenen Synagogen in der Altstadt von Nablus kennengelernt. «Ich war schon oft als Fotograf hier gewesen, wusste aber nichts von der Existenz der Samaritaner, bis ich Abdallah kennenlernte. Ich dachte damals dasselbe, was ich noch immer denke: Was für eine Geschichte», sagt Turine.
Abdallah Cohen erklärt: «Wer einen unserer Gottesdienste besucht, ist meist verwirrt.» Liturgiesprachen sind Aramäisch und Althebräisch, die Synagoge ähnelt einer Moschee, die Gebetsgewänder erinnern an jene von muslimischen Derwischen und zum Beten verneigt man sich so, wie Muslime es tun. Allerdings nicht gen Mekka, sondern zum Heiligen Berg Garizim, der in Kyriat Luza vor der Haustür liegt.
Sie haben gelernt, sich anzupassen, ohne ihren Glauben zu verlieren.
«Ich denke, als kleine Minderheit, die sie sind, haben sie über die Jahrhunderte gelernt, sich anzupassen, ohne ihren Glauben zu verlieren», sagt Gaël Turine. Ihr Dorf stehe allen offen: Palästinensern, die im Dorf arbeiten, jüdischen Siedlerinnen, israelischen Soldaten und ausländischen Besuchergruppen, die neugierig auf die «barmherzigen Samariter» sind, deren Geschichte sie aus der Bibel kennen.
Die Abtrünnigen
In dieser bekannten Erzählung aus dem Lukasevangelium leistet ein Samaritaner einem Schwerverletzten Erste Hilfe, nachdem dieser von einem jüdischen Priester und einem Tempeldiener achtlos liegen gelassen wird.
Damals galten Samaritaner den Juden bereits als Abtrünnige und wurden geringgeschätzt. Der Bruch von Juden und Samaritanern dürfte sich ab dem 5. Jahrhundert vor Christus angebahnt haben.
Da die Samaritaner nach der Rückkehr der Israeliten aus dem babylonischen Exil keinen Zugang zum Jerusalemer Tempel erhielten, errichteten sie ihr Heiligtum auf dem Berg Garizim, an dessen Flanke ihr Dorf steht. Bis heute opfern sie dort zu Pessach Lämmer und feiern das Fest so, wie es die Torah vorschreibt.
Ein verdächtiger Name
«Die Samaritaner sind dazu gezwungen, offen zu sein», erklärt Turine. «Auf dem nächsten Hügel liegt eine illegale israelische Siedlung, unten im Tal die palästinensische Stadt Nablus. Dazwischen die Checkpoints, an denen sie immer angehalten werden, obwohl sie seit Generationen hier leben.»
Frieden ist möglich, wir sind der Beweis dafür.
Abdallah Cohen bestätigt. Er bleibe oft hängen, wegen seines Namens. «Kontrolliert werde ich fast immer. Und manchmal zücken die auch ihre Waffe und zielen auf dich.» Das sei alles andere als angenehm. Er sagt dann jeweils: «Hey, entspann dich, ich liebe Israel. Ich habe nichts gegen euch. Abdallah ist halt ein sehr arabischer Name, Cohen sehr israelisch. Diese Kombination verwirrt die Leute.»
«Ich will einfach in Frieden leben»
Am Ende kommt Abdallah immer durch, denn anders als seine palästinensischen Freunde aus Nablus hat er einen israelischen Pass, mit dem er ungehindert zwischen Israel und dem Westjordanland hin und her reisen kann. In Zeiten wie diesen, wo fast täglich Menschen Opfer von Anschlägen oder Aktionen des Militärs werden, ist er sich seines Privilegs noch mehr bewusst.
Dialog und Offenheit seien die einzige Möglichkeit, Frieden zu vermitteln. «Wenn man mich fragt: Bist du für Israel oder für Palästina, dann denke ich nur: Ich will einfach in Frieden leben. Und das versuchen wir zu vermitteln, indem wir alle willkommen heissen und ihnen zeigen: Frieden ist möglich, wir sind der Beweis dafür. Aber was können wir schon ausrichten? So wenige, wie wir sind.»