In Städten funktioniert das Zusammenleben anders. Die meisten Menschen leben nicht in einer Grossfamilie, sondern als Paar und allein. Neue Wohnformen sollen es trotzdem ermöglichen, in einer Gemeinschaft zu leben.
Wie das funktionieren könnte, und welche Herausforderungen das an die Architektur stellt, zeigt die Ausstellung «Together» im Vitra Design Museum.
Gemeinschaftsräume und Rückzugsmöglichkeiten
Eine Form des Zusammenlebens in der Stadt ist die «Cluster-Wohnung». Für die Ausstellung wurde eine Cluster-Wohnung originalgetreu nachgebaut: Rings um eine riesige Wohnküche und ein gemütliches Wohnzimmer führen Türen in verschiedene kleine Wohnungen.
In diesen Wohnungen lebt ein Paar, eine alleinerziehende Mutter, eine ältere Frau und ein junger Mann. Die Wohnform begünstigt die Gemeinschaft: Die ältere Frau kümmert sich zum Beispiel manchmal um den Sohn der alleinerziehenden Mutter, wenn diese zur Arbeit muss.
«Kein Zwang zur Gemeinschaft»
Das Leben in Cluster-Wohnungen deckt mehrere Bedürfnisse ab. Die Bewohner können sich gegenseitig aushelfen, zusammen kochen und essen oder im grossen Wohnzimmer diskutieren. Aber sie können sich auch in die eigenen vier Wände zurückziehen.
«Es gibt keinen Zwang zur Gemeinschaft», erklärt Architekt und Kurator Daniel Niggli. Das unterscheide Clusterwohnungen von früheren kollektiven Wohnformen, ergänzt Kuratorin Ilka Ruby.
Zürich, Basel und Wien in einer Stadt
Die Clusterwohnung ist eine von vielen möglichen kollektiven Wohnformen. Die Ausstellung zeigt 25 verschiedene Projekte, die in kleineren Modellen nachgebaut wurden. Die Modelle wurden zu einer fiktiven Stadt zusammengefügt.
So steht die Zürcher Überbauung Kalkbreite neben dem Musiker-Wohnhaus aus Basel – unweit vom Vinzirast in Wien, wo Langzeitobdachlose mit Studenten zusammenleben, und anderen Projekten aus Japan und den USA.
Wohnraum ist knapp und teuer
Alle diese Wohnprojekte haben etwas gemeinsam: Sie stammen aus den westlichen Industrieländern, wo viele Menschen in Städten wohnen, der Wohnraum knapp und entsprechend teuer ist.
In diesen Ländern leben kaum mehr Grossfamilien. Über die Hälfte der Menschen wohnt zu zweit oder allein: «Da ist trotzdem ein Bedürfnis nach Gemeinschaft da. Diese Gemeinschaft sucht man sich dann jenseits der Familie», erzählt Ruby.
Utopien, Not und Protest
Das Bedürfnis nach Gemeinschaft, nach kollektivem Wohnen gab es schon früher. Schon in den Anfängen des 19. Jahrhunderts entstanden erste Ideen.
Meist waren das frühsozialistische Utopien, wie das französische Projekt Phalanstère von Charles Fourier oder das US-amerikanische New Harmony. In beiden Gemeinschaften sollten mehrere hundert Menschen zusammen leben, wohnen und arbeiten – unter den Prinzipien von sexueller Freiheit und kollektivem Eigentum.
Später in der Zwischenkriegszeit entstanden in ganz Europa aus Not Wohngenossenschaften und gegen Ende des 20. Jahrhunderts erfand die Hippie-Bewegung das neue Kollektiv – aus Protest gegen das Bürgertum.
Es gibt eine Wellenbewegung von diesen kollektiven Wohnformen. Die kommen immer wieder auf. Auch als Zeichen gesellschaftlicher Krisen», sagt Niggli. Die Ausstellung zeigt diese Wellenbewegungen des gemeinsamen Wohnens mit eindrücklichen Videos und Bildern.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 6.6.2017, 06:50 Uhr.