Ein Gebäude in einem Gewerbegebiet beim Basler St. Jakob-Stadion. Die Empfangsloge dient auch als Einsatzzentrale: Zwei Mitarbeiterinnen in dunkelblauem Uniformpullover nehmen Anrufe entgegen, schreiben E-Mails und haben zwölf Bildschirme im Blick.
Einer der Monitore zeigt einen Platz bei einem Bürohaus. Hier werde kontrolliert, ob sich jemand dem Gebäude nähert oder unbefugt sein Auto parkiert, sagt Timo Sollberger, Regionaldirektor Basel der Securitas. An diesem Standort beschäftigt das Unternehmen 700 bis 800 Mitarbeitende.
Nicht nur die Polizei sorgt für Ruhe und Ordnung
Sie regeln den Verkehr, bewachen Industrieanlagen und Baustellen, schützen Personen, sind mit Diensthunden unterwegs – oder leisten Interventionsdienst. Diesen zum Beispiel für verschiedene Baselbieter Gemeinden, die der Firma abends und an Wochenenden Aufgaben im Bereich «Ruhe und Ordnung» übertragen haben. In über 90 Prozent der Fälle gehe es um Ruhestörung, sagt Timo Sollberger.
Ein Anwohner oder eine Behörde meldet eine Störung meist bei der Gemeinde, die dann das Telefonat an die Securitas weiterleitet, erklärt Sollberger: «Unsere Einsatzzentrale nimmt den Fall entgegen und handelt gemäss den Richtlinien. Sie avisiert unsere Interventionskräfte oder direkt die Polizei.»
Der weisse Einsatzwagen mit dem blauen Streifen und dem Firmennamen «Securitas» oder dem Wort «Intervention» ist in der Regel mit zwei Mitarbeitenden besetzt.
Dialog und Deeskalation – nicht mehr
Vor Ort werde die Situation zuerst beobachtet, sagt Sollberger: «Bei der Annäherung beurteilen wir, wie viele Personen involviert sind, was für eine Stimmung herrscht. Ein Grillfest in privatem Rahmen ist eine andere Situation, als wenn Jugendliche bei einem Sportplatz Alkohol trinken.»
Das Schwergewicht liegt auf dem Dialog und der Deeskalation. Vermittelnd eingreifen – mehr können die privaten Sicherheitsleute auf öffentlichem Grund nicht.
Sollberger sagt: «Wir sind dafür vorgesehen, die Leute auf die Störung hinzuweisen und darum zu bitten, davon abzulassen. Alles andere überlassen wir den Blaulichtorganisationen.»
Es gebe Unterschiede, ob die Securitas Aufträge für Unternehmen oder für Gemeinden ausführe, sagt der Regionaldirektor: «Bei einer Firma handelt es sich meistens um privaten Grund und Boden. Da vertreten wir das Hausrecht des Besitzers.» In den meisten Fällen verfügen die Leute, die dort anzutreffen sind, über eine Anwesenheitsberechtigung.
Im öffentlichen Raum sei die Situation sensibler, sagt Sollberger: «Die Leute sind sich vielleicht gar nicht bewusst, dass sie sich zu Randzeiten an gewissen Orten – zum Beispiel auf Spielplätzen nach 22 Uhr – gar nicht aufhalten dürfen.» Sie müssten dann «situationsgerecht» angesprochen werden, erklärt er.
Seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wüssten, was sie dürfen, betont Timo Sollberger. Aufgrund einer Rechtskundeausbildung seien sie etwa informiert, wo eine Personenkontrolle durchführbar ist: Auf privatem Grund problemlos, sofern ein Auftrag dafür vorliegt, auf öffentlichem Boden nur unter bestimmten Umständen.
Die interne Kontrolle sei gewährleistet: durch die Rapporte der Mitarbeitenden und durch das Mehr-Augen-Prinzip, da bei Interventionen immer mehrere Personen im Einsatz sind.
Die Firma setzt ein mehrstufiges Ausbildungskonzept um: eine Grundausbildung und spezialisierte Schulungen je nach Einsatzgebiet. Jährliche Weiterbildungen sind intern vorgeschrieben.
Gemeinden sind selbst verantwortlich
Bei Alarmierung rückt die Securitas aus, beispielsweise nach Allschwil. Die grösste Baselbieter Gemeinde, 21’000 Einwohner, hat vier Jahre Erfahrung mit der Auslagerung polizeilicher Aufgaben.
Das kantonale Polizeigesetz von 2014 legt fest, dass die Kantonspolizei für Sicherheit sorgt, die Gemeinden aber selbst für «Ruhe und Ordnung» verantwortlich sind. Seit dem 1. April 2015 werden Anrufe an die Gemeindepolizei ausserhalb der Bürozeiten automatisch an die Einsatzzentrale der Securitas weitergeleitet.
Nicole Nüssli-Kaiser, die freisinnige Allschwiler Gemeindepräsidentin, legt Wert darauf, dass dieser Dienst keine Einsätze zur Wahrung der Sicherheit abdecke – etwa wegen Körperverletzung: «Es geht um reine Gemeindeaufgaben nach Gemeindegesetz, in etwa 99 Prozent handelt es sich um Interventionen wegen Ruhestörung.» Also um niederschwellige Polizeiaufgaben.
Der Preis der Sicherheit
Die Kantonspolizei hätte diese Aufgaben auch erledigt – aber zu einem höheren Preis, sagt Nüssli-Kaiser. «Die Kantonspolizei hat während dieser Zeiten selbstverständlich auch andere Aufgaben. Da besteht die Gefahr, dass sie unsere Aufträge nicht in derselben Priorität erledigt.»
Sie wolle damit nicht sagen, dass die Kantonspolizei zu langsam handle, betont Nicole Nüssli-Kaiser. Aber: Die Securitas-Dienstleistung hätte bei der Kantonspolizei rund 50’000 Franken gekostet. Jetzt sei der Tarif «wesentlich günstiger», so Nüssli-Kaiser.
Die Bevölkerung realisiert das gar nicht. Sie rufen auf die Nummer der Gemeindepolizei an, dann nimmt die Pikettzentrale der Securitas ab.
Eine Zahl will die Gemeindepräsidentin nicht nennen. Doch das Gemeindebudget 2018 führt unter der Rubrik «Öffentliche Ordnung und Sicherheit» für «Dienstleistungen Dritter» 25’700 Franken auf – also rund die Hälfte des Betrages der Kantonspolizei.
Einen Nachteil sieht Nüssli-Kaiser bei dieser Auslagerung nicht. «Die Bevölkerung realisiert das gar nicht. Sie rufen auf die Nummer der Gemeindepolizei an, dann nimmt die Pikettzentrale der Securitas ab.»
Sie erhalte gute Rückmeldungen über die Erfüllung der Dienstleistungen durch den privaten Anbieter. Im Jahresdurchschnitt sei es zu 80 Interventionen gekommen.
Weicht die Auslagerung das staatliche Gewaltmonopol nicht auf? Nein, sagt die Gemeindepräsidentin, denn die Securitas erledige keine polizeiliche Dienstleistung: «Hier geht es einzig um diese Gemeindeaufgabe. Weil Ruhe und Ordnung in ihrer Kompetenz liegen, können Gemeinden diese Aufgabe delegieren.»
Von Kanton zu Kanton verschieden
Ähnliche Aufträge übernimmt die Securitas für insgesamt 12 Baselbieter Gemeinden. Und auch andere Firmen führen Gemeindeaufträge aus. Im Kanton Graubünden erfüllen 73 (von 158) Kommunen niederschwellige Polizeiaufgaben durch nichtuniformierte Gemeindemitarbeiter und/oder private Sicherheitsdienste. Im Aargau beschäftigen 37 (von 212) Gemeinden private Anbieter.
Die Polizeien der Kantone Solothurn, St. Gallen und Bern etwa und die Konferenz Kantonaler Justiz- und Polizeidirektoren kennen aber keine Zahlen. Die Situation ist unübersichtlich, da die Polizei eine kantonale Aufgabe ist.
Private sollen Polizei nur ergänzen
Dass das Gewaltmonopol beim Staat liegt – dass also nur die Polizei Zwang einsetzen darf –, ist für Johanna Bundi Ryser zentral. Als Präsidentin des Verbands Schweizerischer Polizeibeamter (VSPB) vertritt sie 26’000 Mitglieder, darunter einen Grossteil der 18’000 Polizistinnen und Polizisten der Schweiz. Aufgaben, die Zwangsmittel erfordern, dürften keinesfalls an Private delegiert werden, sagt sie.
«Die privaten Sicherheitsdienste leisten gute Arbeit. Sie sollen die Polizei aber nur ergänzen, zum Beispiel bei Bewachungsaufgaben, in Firmen, in Stadien, bei der Sicherung von Anlässen oder in anderen privaten Bereichen», sagt Bundi Ryser.
Das Gewaltmonopol müsse aber beim Staat bleiben: «Er darf die Verantwortung nicht in private Hände legen. Da sehen wir eine Entwicklung, die so nicht geht.» Die hoheitlichen Befugnisse dürfen nicht ausgelagert werden, so Bundi Ryser. Aus rechtlichen und staatspolitischen Gründen.
Dazu komme: «Die Polizistinnen und Polizisten haben eine gute und spezifische Ausbildung. Sie werden auf ihre Aufgaben vorbereitet und haben die gesetzlichen Grundlagen dafür.»
Wer kontrolliert die Sicherheitsleute?
Private Sicherheitsleute dagegen wissen nicht immer Bescheid. «Es gab 2018 sogar einen Bundesgerichtsentscheid in einem Fall, in dem ein privater Sicherheitsmann in Aarberg seine Kompetenzen überschritten hat, indem er den Ausweis eines Jugendlichen fotografierte.» Die auftraggebenden Gemeinden würden die Sicherheitsfirmen oft gar nicht kontrollieren.
Ihr Verband würde eine Bundesregelung über private Sicherheitsdienstleister begrüssen, sagt Bundi Ryser. Das Gleiche wünscht sich übrigens auch der Verband Schweizerischer Sicherheitsunternehmungen, dem auch die Securitas angehört.
Die Westschweizer Kantone kennen solche Vorschriften. Sie haben 1996 in einem Konkordat Mindestanforderungen an nichtstaatliche Sicherheitsfirmen vereinbart.
Daran anknüpfend setzte sich der VSPB für das Deutschschweizer «Konkordat über private Sicherheitsdienstleistungen» (Küps) ein. Dieses scheiterte, weil ihm zu wenig Kantone beitraten.
«Wenn auch die Deutschschweiz ein solches Konkordat eingeführt hätte, wäre mindestens hier eine einheitliche Regelung der Ausbildung, der Rekrutierung und der Qualitätssicherung privater Sicherheitsfirmen gewährleistet», sagt Bundi Ryser.
Der VSPB unterstützte zwei Motionen in den eidgenössischen Räten, die private Sicherheitsdienste national regeln wollten: Eine kam von Ständerat Paul Rechsteiner. Er zog sie allerdings 2018 zurück, nachdem sie die ständerätliche Kommission abgelehnt hatte. Den Vorstoss von Nationalrätin Priska Seiler Graf muss der Ständerat noch behandeln.
Das einzige Argument gegen die Motion Rechsteiner war föderalistisch: Die Polizei ist eine kantonale Aufgabe. Johanna Bundi Ryser sagt dagegen: «Der Bund hätte die Möglichkeit, die privaten Dienstleister national zu regeln. Dass er das nicht tut, ist fast nicht zu verstehen.»
Das Faustrecht verhindern
Dass es heute mehr private Sicherheitsleute als Polizisten gibt, 20'000 gegenüber 18'000, betrachtet Bundi Ryser mit Skepsis: «Wir sehen, dass gewisse Kantone und Gemeinden aus finanziellen Gründen die Sicherheit aus den Händen geben und an private Unternehmen auslagern, die zum Teil die Qualität nicht haben. Das halten wir für eine bedenkliche Entwicklung.»
Auch Dieter von Blarer ist der Ansicht, dass das staatliche Gewaltmonopol hochgehalten werden muss. Von Blarer ist Advokat in Aesch BL und Präsident des Vereins «humanrights.ch», der sich für die Durchsetzung der Menschenrechte in der Schweiz einsetzt.
Das staatliche Gewaltmonopol verhindert das Faustrecht.
Er sagt: «Das staatliche Gewaltmonopol verhindert das Faustrecht. Das hat sich über die Jahrhunderte entwickelt.» Es gehe darum, dass die Einwohnerinnen und Einwohner bei Konflikten nicht das Recht haben, Gewalt anzuwenden, sondern dass zur Konfliktbewältigung und -verhinderung vor allem die Polizei zuständig sei.
Deshalb sei es problematisch, wenn Private staatliche Aufgaben übernehmen. Zwangsmassnahmen dürften nicht ausgelagert werden, sagt Dieter von Blarer. Dazu gehört zum Beispiel die Festnahme von Personen oder die Durchsuchung von Personen, die weiter geht als das Abtasten über den Kleidern.
Im «Hooligangesetz» ist das geregelt. Dort wird unterschieden, was die Polizei darf und was allenfalls private Sicherheitsdienste dürfen. «Die Abgrenzung ist immer die Problematik», sagt Dieter von Blarer.
«Heute können sich wegen des Binnenmarktgesetzes von 1995 Sicherheitsunternehmen in einem Kanton mit relativ niedrigen Anforderungen niederlassen und ihre Dienstleistungen schweizweit anbieten.»
Er fordert deshalb eine Regelung des Bundes, was die Zwangsmassnahmen, aber auch die Bildungsstandards betrifft.