Im Sommer 1933 geht ein reger Schriftwechsel zwischen dem Tessin und Bundesbern hin und her. Max Emden, der reiche Besitzer der luxuriösen Brissago-Inseln im Lago Maggiore, sollte eingebürgert werden. Für ihn spricht: sein Geld. Dagegen: haufenweise Gerüchte, die Angst vor «Überfremdung» und wohl auch seine jüdische Familiengeschichte.
Max Emden stammt aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Hamburg und ist mit Warenhäusern sehr reich geworden. Vornehme Adressen in ganz Europa zählen zu seinem Besitz, zeitweise hat er über 10'000 Angestellte. 1926 aber steigt er aus und verkauft einen Grossteil seiner Warenhäuser. Nach einer Scheidung zieht er ins Tessin und kauft sich die Brissago-Inseln, unweit der Ufer-Promenade von Ascona.
Er machte die Inseln zu einem «Paradies auf Erden»
Emden baut die Inseln luxuriös aus: Das alte Kloster lässt er sprengen und errichtet an dessen Stelle eine grosszügige Villa im neoklassizistischen Stil. Er sammelt Bilder von Monet, Van Gogh, Canaletto. Emden baut den Botanischen Garten aus, errichtet ein römisches Bad und ein grosszügiges Bootshaus. Immer wieder lädt er Gäste ein. Am Dach über der grosszügigen Sonnenterasse der Villa steht in Stein gehauen: «Auch Leben ist eine Kunst.»
Urenkelin Maeva Emden spricht heute von einem «kleinen Paradies auf Erden», das Max Emden sich auf den Brissago-Inseln geschaffen habe. Und von diesem Reichtum wollte damals auch die Gemeinde Ronco profitieren – mithilfe einer Einbürgerung. In der Einbürgerungsakte Emdens aus dem Jahr 1934, die SRF exklusiv vorliegt, heisst es, «hauptsächlich wohl auch im Hinblick auf eine zu erwartende fette Erbschaftssteuer» habe man den «Arcimillionario» wissen lassen, dass er sich um das Schweizer Bürgerrecht bewerben solle.
Emdens Inseln der Unmoral
In den katholischen Dörfern des Tessins sorgen der Reichtum und das ausschweifende Inselleben für Diskussionsstoff. Junge, teils leicht bekleidete Frauen sind auf den Inseln zu Gast. Gebadet wird auch mal nackt, ganz im Sinne des damaligen Zeitgeists. In den Akten der Bundesanwaltschaft wird die Insel deshalb zum «luogo d’immoralità», zu einem Ort der Unmoral. Beinahe hätten diese Gerüchte die Einbürgerung Emdens verhindert.
«Es geht da ganz klar um moralische Vorstellungen von Lebenswandel», sagt Christin Achermann, Professorin für Migration, Recht und Gesellschaft an der Universität Neuenburg. Zu Beginn der 1930er-Jahre habe die Schweiz verstärkt hingeschaut, wenn es um die Frage der Einbürgerung ging. «Das war eine sehr breite, oft auch schwierig zu fassende Vorstellung, was das Schweiz-Sein damals war.» Klar ist nur: Berichte über eine Insel der Unmoral helfen bei einer Einbürgerung nicht.
Seine Einbürgerung liess die Kassen klingeln
Max Emdens Reichtum hat bei der Einbürgerung geholfen. Während die Bundesbehörden Vorbehalte haben, wollen vor allem die lokalen Tessiner Behörden eine rasche Einbürgerung. «Über Einbürgerungen wurde Geld in die Gemeindekasse geholt», sagt Christin Achermann.
Einige Gemeinden seien so weit gegangen, ihr Bürgerrecht regelrecht zu verkaufen. Das hängt auch damit zusammen, dass für künftige Erbschaftssteuern die Nationalität des Erblassers entscheidend war. Unter dem Druck der lokalen Behörden stimmt der Bund am Ende der Einbürgerung zu.
Der Sohn muss nach Chile fliehen
Max Emdens Sohn Hans Erich Emden hingegen absolviert zu diesem Zeitpunkt eine Ausbildung im Ausland – sein Gesuch wird deshalb abgelehnt. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland wird die Situation für die Familie zunehmend prekär. Sie wird enteignet und Hans Erich Emden in Deutschland ausgebürgert. Der künftige Besitzer der Millionärsinsel im Tessin war plötzlich staatenlos.
Als Vater Max Emden 1940 im Sterben liegt, will Hans Erich Emden ins Tessin, ans Sterbebett des Vaters. Die Schweiz gewährt ein Visum für zwei Wochen. Anschliessend muss der Sohn das Land verlassen und flüchtet nach Chile. «Das ist schon bitter», sagt Maeva Emden heute, «dass das Interesse an vermögenden Flüchtlingen grösser ist als die Rettung jüdischer Mitbürger». Migrationsexpertin Achermann sagt, die Schweiz habe sich in dieser Zeit innerlich zusammengerauft. «Das war ein starker Prozess der Nationalisierung.»
Kanton und Gemeinden machen ein Schnäppchen
Nach dem Tod des Vaters ist Hans Erich Emden zwar Erbe einer Millionärsinsel im Tessin, hat aber von Chile aus kaum Zugriff darauf. Die Löhne des Personals, Steuern, Hypethekarzinsen: Die Inseln generieren vor allem Kosten. Nach dem Zweiten Weltkrieg entschliesst sich Hans Erich Emden deshalb zum Verkauf. Und für diesen Verkauf gibt es im Tessin konkrete Pläne.
«Die privaten Angebote wurden alle abgewehrt», sagt Maeva Emden. Man habe den Interessenten vermittelt, dass sie die nötigen Bewilligungen für ihre Pläne auf den Inseln nicht erhalten würden. Akten aus dem Bundesarchiv belegen tatsächlich, dass Kanton, Gemeinden sowie der Bund für Heimat- und Naturschutz verhindern wollten, dass die Inseln weiter privat genutzt werden. In der Folge springen die privaten Interessenten ab.
Der Preis für die Brissago-Inseln sinkt deutlich. Von 1.2 Millionen Franken, die Hans Erich Emden nach dem Zweiten Weltkrieg verlangt, auf die Hälfte. Am Ende zahlt die öffentliche Hand 600'000 Franken für die Inseln, in die Max Emden nach Angaben der Familie vier Millionen Franken investiert hatte. «Ich würde fast meinen, dass das unter Wert war», sagt Maeva Emden.
Die Inseln brauchen einen Ort der Erinnerung
Die Inseln sind fortan der Öffentlichkeit zugänglich. Im April 1950 öffnet der botanische Garten, in der Villa Emden entsteht später ein Hotel. Die Nachkommen von Max und Hans Erich Emden kämpfen bis heute: nicht um eine Rückgabe der Inseln oder eine Entschädigung.
«Es geht um die Erinnerung», stellt Maeva Emden klar. Die Familie wünscht sich auf den Brissago-Inseln einen Dokumentationsraum. Die Geschichte des Ortes soll für die heutigen Besuchenden dokumentiert und nachvollziehbar werden.
Die Verantwortlichen auf den Brissago-Inseln vermitteln die Geschichte heute anhand von historischen Fotografien, die bei Führungen durch das Personal in den historischen Kontext eingebettet werden. Auf die Frage, ob sich der Kanton Tessin die Einrichtung eines Dokumentationsraums vorstellen könne, hat das zuständige Departement bis Redaktionsschluss nicht geantwortet.