Ich sitze im Café Spitz und nehme die Schnitzelbängg auf. Einer nach dem anderen kommt auf die Bühne, singt, geht wieder, macht Platz für den nächsten. Mein Notizblock füllt sich, das Aufnahmegerät auch. Und irgendwann ist klar: ich hab sie zusammen, die 55 Minuten Schnitzelbängg, die ich brauche, die ich dringend brauche für die Sendung. Denn ich weiss, dass es die Schnitzelbängg sind, die die Leute hören wollen. Und ich weiss vor allem, dass es die Qualität der Schnitzelbängg ist, die über die Qualität dieser Sendung entscheiden wird.
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Irgendwann am späten Mittwochabend erreiche ich dann den Break-even und weiss, es wird ein gutes Jahr. Vielseitig, fantasievoll, qualitativ hochstehend und einzigartig. Dann lasse ich die paar Nachzügler noch an mir vorüberziehen, trinke aus, verabschiede mich von den Technikern, verabschiede mich vom Wirte-Paar. Ziehe das Kostüm an, die Larve, schliesse mich meiner Clique an, die ich mittlerweile im Fasnachtstrubel wieder gefunden habe, nehme mein Piccolo aus der Tasche und beginne zu pfeifen. Und dann gibt es mich erst mal nicht mehr. Bis zum Ändstraich um 4:00 Uhr in der Früh.
Die Nacht vor der Sendung
Und dann sitze ich da. Es ist Freitagabend nach der Basler Fasnacht, eine Nacht vor der Ausstrahlung des Radio-Querschnitts. Die Schnitzelbängg sind geschnitten, sämtliche 500 Zeedel gelesen. Ausserdem sind da über zehn Stunden Tonmaterial aus der Vorfasnacht und ein Kopf voller Eindrücke von der Strasse. Aber ich sitze vor einem leeren Blatt Papier. Und jetzt ist es 20:00 Uhr. In zwölf Stunden beginnt die Produktion der Sendung. Bis dann muss alles fertig sein, das Puzzle gelegt. Die Fasnacht begriffen und in Worte gefasst. Panik überkommt mich. Wie gerne würde ich jetzt eine Zigarette rauchen. Aber leider habe ich vor Jahren damit aufgehört.
Ich stehe auf, nehme das erste der vielen Zweifrankenstücke, die auf dem Schreibtisch liegen, in die Hand und gehe damit runter in die schon dunkle und menschenleere Kantine und lass mir einen Kaffee raus. Dann geh ich wieder ins Büro, trinke den Kaffee aus und beginne zu schreiben.
Der Geist des «Disk-Schoggi Joggi vom Bruederholz»
Ein Geräusch im menschenleeren Studio. Ich horche in den Gang. Nichts. Aber der Lift am anderen Ende hat eindeutig ein Geräusch von sich gegeben. Ich schaue nach. Der Lift steht still wie immer. Ich setze mich wieder und denke nach. Ruedi Walter geht mir plötzlich durch den Kopf. 22 Jahre hat er diese Sendung moderiert. 22 Jahre als «Disk-Schoggi Joggi vom Bruederholz». Legendär. Prägend. War er das eben? Also, sein Geist? Wollte er mir sagen, dass ich mich gefälligst zusammenzureissen habe, wenn ich schon die Frechheit besitze, in seine Fussstapfen zu treten? Aber er hat die Sendung ja gar nicht geschrieben, denke ich, er hat sie einfach nur moderiert! Einerlei, denke ich dann, er hat ihr ein Gesicht gegeben, und er hat dafür nicht ganze Nächte gebraucht.
Dann denke ich an all die anderen, in deren Fussstapfen ich mich gerade befinde, und die sich auch nicht mehr dagegen wehren können. Hans Hausmann zum Beispiel, der die Sendung erfunden hat, Hans Häser, der sie jahrelang redigiert hat, Uller Dubi, der ihr eine Stimme gegeben hat. Bin ich ihrer würdig?
Schweissausbruch, Zigarettenlust
Wieder das Geräusch. Schweissausbruch, Zigarettenlust. Ja, sind die jetzt alle hier in dieser Nacht in diesem alten Haus? Ich schnappe mir das letzte Zweifrankenstück auf dem Tisch und lauf die Treppe runder. Auf den Lift verzichte ich vorsichtshalber. In der Kantine brennt Licht. Der Kantinenchef ist da. Er arbeitet. Bereitet seinen Tag vor. Gott sei Dank! Die Nacht ist bald vorbei! Wir wechseln ein paar Worte. Nicht viele. Er kennt mich, wie er meine Vorgänger kannte, und weiss um diese Nacht. Ich frag ihn, wie spät es ist. Bald fünf, sagt er. Ich gehe hoch und trink den Kaffee aus. Dann denke ich nochmals kurz an Ruedi Walter und tue, wie er mich geheissen hat: Ich reisse mich zusammen.
Um 7:30 Uhr bin ich dann fertig. Die Sendung hat einen Bogen und die richtige Länge. Alle wichtigen Themen sind untergebracht, die Zeedel, die Bänke, die Vorfasnacht: alles sauber eingebaut. Und alles auch so formuliert, dass man es auch ausserhalb von Basel versteht. Um 8:00 Uhr kommt der Techniker. Wir setzen uns ins Studio und nehmen auf. Zwei Stunden am Stück. Wie live. Später räume ich das Büro auf. Um 16:00 Uhr bin ich zuhause. Ich esse was, bade, rasiere mich, ziehe den Anzug an.
Ein unbeschreibliches Gefühl
Um 18:00 Uhr bin ich im Theater. Ich habe Karten für den Schlussabend des Schnitzelbangg-Comités. Dort treten sie alle nochmals auf, die Schnitzelbänggler. Und ich hör sie mir alle nochmals an. Aber jetzt ohne Stress. Und mit dem Gefühl, etwas geleistet zu haben. Ich sitze da und die Stunden vergehen. Und gleichzeitig läuft im Land draussen die Sendung am Radio.
Meine Sendung. Und das ist ein unbeschreibliches Gefühl.