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Zeitgenössisches Foto: Kurz vor der Erstbesteigung des K2 im Jahr 1902.
Legende: 1902 kurz vor dem ersten Versuch, den K2 zu besteigen. Musée de l'Elysée, Lausanne

Gesellschaft & Religion Aleister Crowley, der Aufschneider vom K2

1902 startete die erste Expedition zum K2, dem zweithöchsten Berg der Welt. Mit dabei war der junge Engländer Aleister Crowley. Seine bekannten Erzählungen von der Reise stellten sich als blanke Lügen heraus - dank des Tagebuchs eines Schweizer Arztes.

Ein Pistolenduell am zweithöchsten Berg der Welt und Hellsichtigkeit, die die ideale Aufstiegsroute aufzeigt: wo der Dichter und Schriftsteller Aleister Crowley auftaucht, sind fantastische Geschichten nicht weit. Der Exzentriker, der sich später vom Bergsteiger zum skandalumwitterten Okkultist wandelte, war 1902 mit dabei, als die erste Expedition versuchte, den K2 zu erklimmen. Die Expedition war nicht erfolgreich. Erfolgreich aber waren Crowelys Erzählungen darüber. Sie sollen Berggeschichte schreiben.

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Zwei völlig verschiedene Charaktere

Bei der Expedition war aber auch der Schweizer Arzt Jules Jacot Guillarmod aus Neuenburg. Dank ihm lichtet sich nun mehr als 100 Jahre danach der Nebel um bizarre Legenden, die sich um diese Expedition gerankt haben. Guillarmod war leidenschaftlicher Alpinist, Fotograf und Entdeckungsreisender. Sein Leben lang führte er minutiös Tagebuch über seine Abenteuer. Der Alpinjournalist Charlie Buffet, der ein Buch über die erste Expedition zum K2 geschrieben hat, hat diese Tagebücher nun nach über 100 Jahren zum ersten Mal durchforstet und kommt zum Schluss, dass Crowleys Geschichten nicht nur erstunken und erlogen waren, sondern dass der englische Hochstapler im Gegenteil das Zelt im Basislager praktisch nie verliess, meist krank und überhaupt ein unangenehmer Zeitgenosse war. Er trieb die Träger mit Schlägen an, beklagte sich ständig über seine Kameraden und die schwierige Situation und schliesslich, als es wirklich ernst wurde, haute er einfach ab.

Aufnahme von 1902, Expeditionsmannschaft K2
Legende: Der Schweizer Arzt Jules Jacot Guillarmod vorne sitzend und rechts hinter ihm Aleister Crowley. Musée de l'Elysée, Lausanne

Der gewissenhafte Jacot Guillarmod war als Persönlichkeit das pure Gegenteil von Crowley. Er hielt sich im Urteil über andere Leute sehr zurück. Seine Notizen zeugen von einer am naturwissenschaftlichen Denken geschulten Beobachtungsgabe. Sie sind knapp, emotionslos, dafür umso genauer. Erst am Schluss, als sich die Spannungen zwischen den beiden so unterschiedlichen Charakteren entluden, rang sich der sonst so zurückhaltende Neuenburger zu einem «dreckiger Egoist, welche Pest!» durch.

Im Taumel von Flower-Power

«Was an den Geschichten von Crowley wirklich erstaunt, ist, dass sie so viele Leute glaubten», sagt Charlie Buffet. Aleister Crowley gründete nach seiner desaströs verlaufenen Bergsteiger-Karriere eine religiöse Bewegung. «Thelema» machte mit Drogen, sexualmagischen Praktiken und blutigen Ritualen von sich reden. «Tu, was du willst» war ihr oberstes Prinzip. Und genau dieses Prinzip brachte die Hippies 20 Jahre nach dem Tod von Crowley zum Träumen. Der Fantast und seine Ideen wurde im Taumel von Flower-Power zum Mythos, nicht zuletzt in Kalifornien. «Während dem Krieg zwischen Indien und Pakistan war das Gebiet geschlossen. Die ersten, die in den 70er Jahren an den K2 zurückkehrten, waren kalifornische Bergsteiger. Sie hatten Crowley im Kopf und brachten ihn und seine Geschichten an den Berg zurück», resümiert Buffet.

Buchhinweis

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Charlie Buffet: Pionier am K2 – Jules Jacot Guillarmod. AS-Verlag, Zürich 2012

Das allein erklärt die Wirkungsmacht der bizarren Erzählungen von Crowley noch nicht, erklärt noch nicht, warum der Okkultist vor allem für englischsprachige Bergsteiger lange Zeit als Held vom K2 galt. Buffet geht einen Schritt weiter: «Ich denke, man möchte daran glauben, dass die Dichter recht haben, man möchte, dass sie es sind, die uns die Geschichte erzählen».

Einzigartige Zeugnisse des frühen Alpinismus

Während Aleister Crowley zu einer Legende des 20. Jahrhunderts wurde, geriet Jules Jacot Guillarmod praktisch in Vergessenheit. Er starb bereits 1925 auf einer Reise, bei der er allein den afrikanischen Kontinent durchqueren wollte. Seine Fotografien lagerten Jahrzehnte lang auf dem Dachboden der Familie. Das naturhistorische Museum Neuenburg zeigt sie nun, viele von ihnen zum ersten Mal. Zusammen mit Gegenständen der damaligen Expedition und der Darstellung der Lebensgeschichten der beiden so unterschiedlichen Männer sind sie einzigartige Zeugnisse des frühen Alpinismus.

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