Evelyna Kottmann erlebte als Kind Schlimmes: Zuerst sexuelle Übergriffe ihrer Mutter und deren Freier, später im Heim Misshandlungen durch Teufelsaustreibungen. Im Buch «Kreuz Teufels Luder» verarbeitet Evelyna Kottmann ihren grauenvollen Heimalltag. Dabei ergänzt sie ihre eigenen Erinnerungen durch Aktenauszüge und Notizen aus dem Erziehungstagebuch der Schwester Andrusia (Name geändert). Die Schwester malträtierte damals Kottmann im Heim und dokumentierte ihre brutalen Erziehungsmethoden exakt.
Weshalb haben Sie dieses Buch geschrieben?
Evelyna Kottmann: «Kreuz Teufels Luder» ist für die Opfer. Mir war wichtig, den Zeitgeist von damals einzufangen. Ich will mit meinem Buch aber keine Einzelpersonen als Schuldige benennen, sondern das Augenmerk der Leser auf das System richten und es begreifbar machen.
Unglaublich aber wahr – bei den Recherchen stiessen Sie dann auf das Erziehungsjournal der Schwester Andrusia, der Schwester Ihres damaligen Heims.
Die offiziellen Akten haben mir beim Schreiben enorm geholfen. Aus purem Zufall fielen mir auch noch die tagebuchartigen Erziehungsprotokolle der Schwester Andrusia in die Hände. Ich habe beim Lesen viel geweint. Aber die detaillierten Aufzeichnungen dieser Frau haben meine Kindheitserinnerungen bestätigt und mein Selbstbewusstsein gestärkt.
Wie überlebt man einen solchen Albtraum?
Meine Tochter hat mir das Leben gerettet. Wäre ich nicht Mutter geworden, hätte ich mir vermutlich das Leben genommen. Sie war mein «Lebensmotörchen». Zudem haben mir meine Leidenschaft für die Schauspielerei und der frühe Gang zum Psychiater enorm geholfen. Ich hatte auch Glück. Ich habe immer wieder die richtigen Leute getroffen. Wäre dies alles nicht der Fall gewesen, hätte ich auch Terroristin werden können. Man wird radikal, wenn man viel leiden muss.
Welche Reaktion erwarten Sie von der Nonne, wenn Sie ihr Buch liest?
Dass sie sich selbst vor einem weltlichen Gericht anzeigen würde. Aber grundsätzlich gibt es keine Reaktion, die mich versöhnen könnte. Mit der katholischen Kirche schon gar nicht, weil man mir dort bereits als Kind gezeigt hat, dass man Menschen vernichtet, statt ihnen zu helfen. Im Heim wollte man mir einen Lebensstil nach katholischen Massstäben aufzwingen und das geht gar nicht.
Was denken sie über die Wiedergutmachungsinitiative, die in diesen Wochen im Parlament (Indirekter Gegenvorschlag des Bundesrats, Anm. der Red.) diskutiert wird?
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Nur schon das Wort Wiedergutmachung regt mich auf. Es gibt keine Wiedergutmachung. Ehrlicher wäre es, von Schmerzensgeld zu sprechen, denn man sollte das Kind beim Namen nennen. Ich selber leide bis heute unter körperlichen Schmerzen und kämpfe immer wieder mit depressiven Abstürzen. Finanzielle Rückerstattung ist mir persönlich nicht wichtig, aber ich weiss, dass viele Opfer froh darüber wären. Besser wäre, wenn das Unrecht der Verding- und Heimkinder systemisch aufgearbeitet würde.
Was fordern Sie konkret von der katholischen Kirche?
Sie müsste zugeben, dass nicht nur Priester sondern auch viele Nonnen Heimkinder im Namen Gottes misshandelt haben. Bis heute sitzt die Katholische Kirche die meisten Missbrauchsfälle aus. Man müsste sie deshalb dazu zwingen, das zölibatäre System aufzugeben. Und bis es soweit ist, sollte man allen katholischen Priestern und Nonnen jene Ämter entziehen, die sie in Kontakt mit Kindern bringen. Das Geschehene lässt sich nicht mehr gutmachen. Um jedoch künftiges Unrecht zu verhindern, müsste man jetzt die richtigen Massnahmen treffen.