Neun von zehn Schweizer Männer sagen, dass sie gerne Teilzeit arbeiten wollen. Aber nur einer von sieben tut es. Was hindert die Männer daran?
Jürg Wiler: Viele Männer haben immer noch das archaische Rollenmodell verinnerlicht, dass sie Alleinernährer einer Familie sein müssen. Mit der Zeit werden sie aber merken, dass sie nicht allein «auf die Jagd» müssen. Sondern dass das die Frauen heutzutage ebenso gut können.
Auch heute noch hat man Angst, als Weichei angesehen zu werden?
Ja. Wir gehen mit unserer Wanderkampagne in die Unternehmen. Da sitzen zwischen 20 und 300 Männer im Publikum und da kommen schon solche Fragen, natürlich auch zu den Finanzen und der Karriere.
Ich persönlich habe das auch so erlebt. Als wir das zweite Kind bekommen haben, hatte ich das Gefühl: Jetzt kann ich endlich mal zeigen, was ich für die Familie leisten kann und arbeitete sehr viel. Bis meine Partnerin dann auch Teilzeit arbeitete. Es war sehr angenehm, nicht mehr allein für die Finanzen zuständig zu sein.
Wie kann man denn dieses Rollenmuster überwinden?
Unser Ratschlag ist: ausprobieren. Wie wirkt es, wenn man Belastung abgibt, wenn die Partnerin oder der Partner finanziell mitträgt? Es geht aber auch darum, Status oder Macht abgeben zu können. Das kann man sehr gut üben, wenn man am Sandkasten sitzt mit den Kindern. Hier muss man sich seinen Status neu erarbeiten. Und es ist ein schönes Gefühl, wenn man das schafft.
Man muss also auch ein neues Selbstbild gewinnen?
Ja. Das braucht Mut. Sehr viele Männer bauen ihre Identifikation ausschliesslich über Arbeit auf. Wenn sie ihre Arbeit verlieren, wissen sie nicht mehr, wer sie als Mann sind. Wenn man sein Leben auf mehrere Pfeiler baut, gibt das eine gute Lebensbalance.
In der Schweiz arbeiten nur wenige Väter von kleinen Kindern Teilzeit. Mit ihrer Kampagne wollen sie das ändern. Sind denn die Männer bereit, mehr Familienarbeit zu übernehmen?
Viele Väter wollen es anders machen wollen als ihre eigenen Väter. Sie möchten mehr Verantwortung in der Familienarbeit übernehmen und erfahren, was es heisst, mit Kindern im Alltag unterwegs zu sein. Noch ein Hinweis zu den Zahlen: Ende 2012 waren es 13,8 Prozent und heute, nach knapp zwei Jahren mit der Kampagne, sind wir auf 16,5 Prozent. Nach dem zweiten Quartal 2014 sind es 16,5 Prozent der Männer, die Teilzeit arbeiten. Und etwas mehr als 9 Prozent der Väter.
Langsam verändert sich also doch etwas.
Männer wollen sich mehr der Familie oder der Erholung widmen. Viele sagen, dass die Zeit immer dichter und schneller wird. Bei den Arbeitgebern wird nachgefragt, ob die Möglichkeit zur flexiblen Arbeit oder Teilzeitarbeit vorhanden ist. Und man wählt die Unternehmen, die das anbieten können.
Ist es denn heute schwierig für Männer, ihre Arbeitgeber von den Vorteilen der Teilzeit zu überzeugen?
Teils. Grossunternehmen haben dieses Thema ins Auge gefasst. Sie müssen ihr Personal auch auf dem internationalen Arbeitsmarkt suchen. Da muss man etwas bieten können. Weniger Resonanz haben wir bei mittelgrossen Unternehmen oder bei kleinen.
Es kann natürlich heikel sein, sein Interesse beim Arbeitgeber anzumelden. Bei Chefs, die schon Erfahrungen mit Teilzeit haben – ob privat oder beruflich –, sind die Türen weit offen. Aber wo das Leistungsethos noch anders gelagert ist, gibt’s viel zu tun. Wir empfehlen den Männern, hartnäckig zu sein und wiederholt anzuklopfen. Oder im schlimmsten Fall den Arbeitgeber zu wechseln.
Macht Teilzeitarbeit aus Ihrer Sicht in jedem Fall zufriedener?
Ja. Ich habe 33 Berufsjahre. Davon habe ich 23 Teilzeit gearbeitet. Meine Lebensqualität hat massiv zugenommen. Das Leben wird nicht einfacher, aber sicher viel reicher. Weil man auch verschiedene Kompetenzen erwerben kann. Und man ist auch leistungsfähiger im Beruf. Aus betriebswirtschaftlicher Perspektive lohnt sich Teilzeit für ein Unternehmen. Das zeigen zwei Schweizer Studien ganz klar.
Sind Sie damals noch grossen Vorurteilen begegnet, als Sie mit Teilzeit-Arbeit begonnen haben?
Vor allem im Sportclub kamen süffisante Sprüche wie: Der Freizeit-Techniker macht am Freitag frei und lehnt sich zurück. Es geht immer um dieses Leistungsethos. In urbanen Zentren ist das weniger der Fall. Aber je weiter man aufs Land kommt, desto mehr gilt: Wer nicht 100prozentig oder mehr arbeitet, ist kein richtiger Mann. Zum Teil drückt natürlich auch Eifersucht durch, wenn man selber nicht mehr Luft hat oder mit der Familie sein kann.
Dass der Bund die Kampagne überstützt, wurde mit dem Argument kritisiert, dass es in der Schweiz in vielen Bereichen einen Fachkräftemangel gibt.
Je mehr Männer Teilzeit arbeiten – auch in Führungspositionen –, desto mehr Frauen können das Gleiche tun. Rund ein Drittel der Mütter von Kindern unter sechs Jahren bleiben nach einer Schwangerschaft zuhause. Das macht rund 50‘000 Hausfrauen in der Schweiz, die eine Hochschule oder eine höhere Berufsbildung absolviert haben. Hier liegt viel Potential brach.
Wenn Frauen nicht mehr in den Arbeitsmarkt zurückgeben, dann hat das einerseits strukturelle Probleme, Stichwort mangelnde Krippenplätze. Aber auch, dass zu wenig qualifizierte Teilzeit -Stellen zur Verfügung stehen. Das Argument «Es ist schlecht für die Wirtschaft» finde ich ein Affront gegen die Frauen, dass sie diese Lücke nicht füllen können.
Und das Thema Gesundheit wird bei der Kritik an der Kampagne nicht erwähnt. Teilzeit-Arbeit kann auch Entspannung und Erholung bedeuten. Damit macht das auch volkswirtschaftlich Sinn. Es kommt weniger zu Burnout oder depressiven Erschöpfungszuständen. Dadurch sinken die Kosten.
Link zum Thema
Wenn wirklich die grosse Mehrheit der Männer Teilzeit arbeiten möchte, wie das aus einer Untersuchung hervorging, weshalb scheitern dann so viele an der Umsetzung?
Ich denke, es wollen es sehr viele. Aber wenn es dann konkret wird, dann wird es schwierig. Es ist ein Prozess, auch mit der Partnerin oder dem Partner. Das muss man aushandeln: Was verliert der Mann? Was gewinnt die Partnerschaft? Und auch die Frau muss finanzielle Vorteile oder die Definitionsmacht im Haus abgeben können.
Ohne Verluste geht es also nicht.
Es ist wie bei allen Veränderungen im Leben. Es gibt eine Medaillenvorderseite und eine Rückseite. Und es gibt finanzielle Einbussen. Die Karriere ist nicht mehr so gerade aufgezeigt. Aber letztlich geht es um eine Wertediskussion. Jeder Mann sollte sich fragen: Was ist wirklich wichtig in meinem Leben?