SRF: Sie haben sich gegen Kinder entschieden – warum?
Sarah Diehl: Ich hab mein Leben tatsächlich nie mit Kinderkriegen oder Mutterschaft verbunden. Das war nie ein Teil meiner Vorstellung von Frausein. Das war auch nie eine grosse Entscheidung, eher ein Nullthema.
Über Nullthemen muss man aber keine Bücher schreiben.
Tatsächlich habe ich in meinem Umfeld ganz andere Erfahrungen gemacht. Ich war vollkommen erstaunt, wie sich viele meiner Freundinnen – alles selbstbewusste Frauen – beim Kinderthema verunsichern lassen.
Gestandene Frauen, die sich gegen Kinder entscheiden – und auf einmal erzählt ihnen die halbe Welt, sie müssten eigentlich Kinder haben. Man sei kein guter Mensch ohne Kinder, einem fehle etwas. Und man sei eine Egoistin. Ich interessiere mich dafür, woher diese negativen Bilder über kinderlose Frauen kommen.
Ist die Gesellschaft schuld?
Aus dem Kinderkriegen wird ein natürliches Bedürfnis gemacht wird – das finde ich unmöglich. Als wäre in meiner DNA eingebrannt: «Du musst unbedingt Mutter sein wollen.» Damit wird der Frau im Grunde ihre Entscheidungsfreiheit und -fähigkeit abgesprochen.
Die Gesellschaft will Frau als Kinderbetreuerin, als Fürsorgerin. Sie will, dass Frau sich in der Kleinfamilie engagiert. Nur passiert das oft genug zu Lasten der Frau und dagegen wehren sich Frauen immer mehr. Ich hatte das Bedürfnis den Frauen etwas Handwerkszeug mitzugeben, um das analysieren zu können, sowohl historisch als auch gesellschaftlich-ökonomisch. Frauen wird heute immer noch gesagt: «Eigentlich musst du dein Leben auf Kinder ausrichten.» Nichts mit Freiräumen oder anderen Plänen.
Wie gross ist der Gesellschaftsdruck, den Frauen verspüren?
Viele Frauen verstehen beides, also Mutterschaft und Karriere als Aspekte der Leistungsgesellschaft. So wie das Mutterideal heutzutage erfüllt werden muss, ist es vielen Frauen zuviel. Zuviel Wettbewerb. Im Grunde muss man sich selbst und das Kind optimieren. Und wenn irgendwas schief läuft, ist die Mutter schuld.
Leute wollen nicht begreifen, dass es nicht gut gehen kann, wenn sich Frau für ein Wesen komplett aufgibt. Das ist eine Unterforderung für die eigene Biographie – und eine Überforderung, was die anfallende Arbeit angeht.
Sie untersuchen auch alternative Modelle des Zusammenlebens.
Ja, die Frage, wie man ein solidarisches, gemeinschaftliches Leben etablieren kann, ist mir wichtig. Kinderlosigkeit hat nichts mit Vereinzelung oder Egoismus zu tun. Ganz im Gegenteil, vielleicht kann Kinderlosigkeit dazu führen, dass man diese Konzepte, die uns auch unglücklich machen, reflektiert mit der hohen Scheidungsrate, überdenkt. Diese Geschlechterklischees, diese Familienkonzepte – anscheinend sind die nicht das Richtige für uns. Kinderlosigkeit kann hier eine Art Reset-Knopf sein.
Was soll passieren, wenn die Gesellschaft den Reset-Knopf drückt?
Der Fokus sollte eben nicht mehr auf der Mutterschaft liegen, sondern darauf, wie wir mit Kindern zusammen leben wollen – und zwar wir alle. Das ist im Grunde das grosse Missverständnis, wenn man über Emanzipation und Gleichberechtigung spricht: Man meint, die wäre erreicht, wenn Frauen das tun können, was Männer tun. Aber das genügt nicht.
Männer müssen auch das tun, was Frauen tun, also Kinder betreuen, pflegen, putzen – also die Vaterschaft aktiv gestalten. Gleichberechtigung ist noch lange nicht erreicht. Kinder haben und erziehen muss ein gesamtgesellschaftliches Projekt sein und nicht auf die Frauen abgeschoben werden. In Kanada können mittlerweile vier Personen als soziale Eltern eingetragen werden. Das finde ich den richtigen Weg.