Plötzlich war es da, dieses «beziehungsunfähig». Und es wurde mit offenen Armen empfangen. Es schien, als hätte die Generation Y, die Digital Natives, die Millennials, oder wie man die zwischen 1980 und 1995 Geborenen sonst nennen will, endlich auch ihre Berufung im Bereich der Liebe gefunden.
Fragen und Zweifel
Richtig populär wurde das Wort durch Michael Nasts «Generation Beziehungsunfähig». Ein Buch, welches das Lebensgefühl einer Generation skizziert und statt Antworten noch mehr Fragen und Zweifel generiert. Das war Anfang 2015.
Inzwischen hat Nast unzählige Lesungen im deutschsprachigen Raum gehalten, das Thema wurde von jedem Kolumnisten unter verschiedensten Aspekten diskutiert und «Betroffene» haben dazu x-mal Stellung bezogen.
Mit anderen Worten: Das Thema ist durch. Und bevor die Generation Z ins Visier der Kritiker und Analysten gerät, ziehen wir hier das Fazit.
Krankheit oder Hirngespinst?
Kurz: Beziehungsunfähig ist niemand, und es handelt sich hierbei auch nicht um eine diagnostizierbare Krankheit. Einer ganzen Generation die Pauschaldiagnose «beziehungsunfähig» zu stellen, ist aus wissenschaftlicher Perspektive zudem höchst unseriös.
Das kritisiert Guy Bodenmann, Professor für klinische Psychologie und Paartherapie an der Universität Zürich, angesichts der medialen Inszenierung des Themas scharf.
Schaut man sich seine jüngsten Forschungsresultate an, so erhält man ein konträres Bild der Beziehungsfähigkeit der sogenannten Millennials. 2015 gaben bei einer Umfrage zum Thema Beziehung und Partnerschaft 84 Prozent der Frauen und 81 Prozent der Männer an, eine Partnerschaft als lebenslange Verbindung anzusehen.
Geht es um die Treue, beurteilen über 90 Prozent der Befragten diese als zentrale Grundlage für eine funktionierende Beziehung. Beziehungsunfähigkeit ist also keineswegs ein Massenphänomen wie Nast suggeriert. Sondern vielmehr ein populäres Hirngespinst.
Die Eltern sind schuld
Trotzdem: Die Selbstdiagnose «beziehungsunfähig» hört man bei Mittzwanzigern und Dreissigjährigen nur zu oft. Das liegt jedoch nicht an ihrer Unfähigkeit sich zu binden. Sondern im Grunde – wie so oft – an den Eltern.
«Viele junge Erwachsene sind aufgrund der Scheidungserfahrungen in ihrer Familie verunsichert. Sie befinden sich im Dilemma zwischen dem Wunsch nach lebenslanger Partnerschaft und der Desillusion, dass dies möglich ist», erklärt Guy Bodenmann.
Deshalb wird der potentielle Partner auf Herz und Nieren geprüft. Definitive Entscheidungen werden hinausgeschoben. Man ist heute halt emanzipierter und anspruchsvoller als Mutti oder Vati.
Nur perfekt ist gut genug
Beziehungen geht man also erst bei den optimalen Voraussetzungen ein und dann am liebsten lebenslang. Die ganzen Unsicherheiten, die mutlosen Momente sowie der Hang zum Narzissmus, die der eigentliche Wunsch nach einer Beziehung mit sich bringt, werden dabei nicht wirklich thematisiert.
Im Gegenteil: Der Mythos von der beziehungsunfähigen Generation kommt da gerade gelegen. Noch so gerne ordnen sich scheinbar Betroffene Nasts Typisierung unter und vermeiden so unangenehme Konflikte, Erklärungen und echte Gefühle.
Auf der Suche nach Mister und Miss Perfect hangelt man sich pausenlos von der einen zum anderen. Wird’s konkret, heisst‘s: «Sorry, ich bin halt einfach beziehungsunfähig.»
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, 100 Sekunden, 24.10.2016, 06:20 Uhr