«Jeder Mensch findet seinen Weg zum Heil, insofern er moralisch handelt», erklärt Michel Bollag vom Zürcher Institut für Interreligiösen Dialog. Er folgert: «Das Judentum braucht keine Mission.»Das Heil müsse nicht durch eine Religion vermittelt werden. Darin sieht der Fachreferent für Judentum einen sympathischen Zug und das Modernitätspotenzial seiner Religion: «Man muss nicht jüdisch sein, um ein guter Mensch zu sein und eine Beziehung zu Gott zu haben».
Der Glaube an einen Gott verbindet das Judentum mit dem Christentum und dem Islam. Eine aggressive Mission bei Andersgläubigen wie im Christentum oder im Islam jedoch hat es im Judentum nie gegeben. Dabei könnte aus dem Grundbekenntnis jüdischen Glaubens im Buch Deuteronomium durchaus ein Auftrag zur Mission herausgelesen werden. Dort heisst es: «Höre Israel! Jahwe, unser Gott, Jahwe ist einzig. Darum sollst Du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft.»
Übertritt durch eigene Erkenntnis
Alle Menschen, die an Gott glauben, sollten auch Juden werden. Diese Vorstellung habe es im Judentum ansatzweise immer wieder gegeben, erklärt Michel Bollag. Das seien aber marginale Stimmen geblieben, eine endzeitliche Vision, nicht durch Missionierung, sondern durch eigene Erkenntnis.
Warum gibt es im Judentum keine Mission bei Andersgläubigen? Der Basler Forscher Daniel Lis erinnert an das Kriterium, wie man Jude oder Jüdin wird: «Wer eine jüdische Mutter hat, ist Jude». Daher gebe es wenig Interesse an Mission. Gleichwohl stellt Daniel Lis fest: «Es gibt mehrere Gruppen, die eine Art jüdische Mission betreiben». Dazu zählt Daniel Lis die Bewegung Kulanu, eine vorwiegend amerikanisch-jüdische Organisation, und Amishav, eine vorwiegend israelische und zionistisch ausgerichtete Bewegung.
Daniel Lis forscht insbesondere über das Judentum in Afrika. Dort gebe es Gruppen, bei denen nicht ganz klar sei, ob sie Juden seien oder nicht. Da versuche man den Kontakt herzustellen, um sie an das rabbinische Judentum heranzuführen. Prominentestes Beispiel ist das Volk Beta Israel (Haus Israel) in Äthiopien. Dieses Volk sieht sich als Nachfahren der Israeliten aus biblischer Zeit und lebt heute vorwiegend in Israel.
Innerjüdische Mission
Und es gibt eine innerjüdische Mission, die Bewegung Chabat Lubawitsch. Die Anhänger der Chabat-Bewegung agieren mit sogenannten Re-Judaisierungs-Kampagnen. Juden, die säkular oder liberal sind, werden zu mehr Religiosität angehalten. Sie sind weltweit tätig, in der Schweiz in Zürich, Luzern, Lugano, Genf und Basel vertreten.
Für Rabbiner Moshe Baumel in Basel ist Chabad keine Konkurrenz. Innerjüdische Mission kennt er nicht: «Das Rabbinat missioniert nicht, hat aber eine erzieherische Tätigkeit». Er versuche, den Gemeindemitgliedern jüdisches Wissen und Erziehung näherzubringen. Moshe Baumel folgert: «Was sie damit machen, ist ihre eigene Entscheidung. Niemand wird zu etwas gezwungen». Baumel ist in Vilnius geboren und in Berlin aufgewachsen. Seit 2015 ist er Rabbiner der Israelitischen Gemeinde Basel.
Wenn es um Konversionen zum Judentum geht, versucht Moshe Baumel gar, die Leute, die interessiert sind, im Erstgespräch von ihrem Vorhaben abzubringen. Weniger streng ist er nur bei einer interreligiösen Ehe, wenn der Partner oder die Partnerin jüdisch sind. Der Prozess der Konversion dauert drei bis sechs Jahre; derzeit gibt es in der Gemeinde in Basel sieben Kandidaten. Seine Zurückhaltung begründet der Rabbiner damit, dass es im Judentum viele Gesetze gebe und das jüdische Volk mit viel Feindschaft zu kämpfen habe. Moshe Baumel fügt hinzu: «Man kann Gott auf eine gute Art und Weise dienen, auch wenn man nicht jüdisch ist.»