Greta Garbo, Rainer Maria Rilke, Gustav Mahler, Edward Hopper, Woody Allen. Sie alle kannten «das Vergnügen, traurig zu sein», wie Victor Hugo die Melancholie nannte. Diese nachdenkliche Traurigkeit ist heute zu etwas Bedrohlichem geworden, zum Vorboten einer depressiven Erkrankung. Wir meiden die schlechte Stimmung wie der Teufel das Weihwasser. Und genau das bringt uns in die Hölle.
Positives Denken ist angesagt. Die Ratgeberliteratur spricht Bände. Alles ist gut und es kommt sogar noch besser. Kränkende existenzielle Gedanken über die Endlichkeit und Nichtigkeit des Lebens werden dabei gerne ausgeblendet. Wir verdrängen die Melancholie und überspielen die Traurigkeit. Aber genau diese Verdrängung sei gefährlich, meint der ungarische Essayist László F. Földényi: «Weil etwas, das unterdrückt wird, umso heftiger wieder ausbricht».
Melancholie statt Depression
Tobias Ballweg, Philosoph und Psychologe am Sanatorium Kilchberg, stimmt zu: «Die zunehmenden Depressionen sind ein Symptom der Spass- und Leistungsgesellschaft. Die hohen Ansprüche an das Leben, der gesellschaftliche Zwang zum Glück und die Verdrängung existentieller Fragen begünstigen depressive Zustände». Im Unterschied zu depressiven Personen hätten Melancholiker «keine grossen Erwartungen an das Leben. Sie machen sich keine falschen Illusionen. Das schützt sie nicht nur vor Enttäuschungen, sondern auch vor Depressionen», meint Ballweg. Depressionen seien nämlich häufig mit enttäuschten Erwartungen verbunden. Darum wirke positives Denken bei vielen depressiven Patienten auch kontraproduktiv: «Therapeuten vermitteln Hoffnung – und der Patient fühlt sich danach noch schlechter als zuvor». Bei zu hohen Erwartungen sei die Frustration vorprogrammiert. Anders der Melancholiker: Er hegt keine grossen Hoffnungen, verspürt aber eine zarte, unbestimmte Sehnsucht, ein «utopisches Heimweh», wie Ballweg es nennt.
Der Zwang zur Selbstverwirklichung
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Die Diktatur des Glücks macht unglücklich. Darin sind sich viele Autoren einig. So schrieb der Philosoph Wilhelm Schmid vor kurzem ein Buch mit dem Titel «Unglücklich sein. Eine Ermutigung». Arnold Retzer, Arzt und Psychologe, führt in seiner «Streitschrift gegen das positive Denken» die verbreiteten Depressionen auf unseren Optimismus, auf überhöhte Erwartungen und auf die Idealisierung der Autonomie zurück. Der französische Soziologe Alain Ehrenberg hat diese These in seinem Buch «Das erschöpfte Selbst» vorweggenommen, indem er den gesellschaftlichen Zwang zur Selbstverwirklichung für unsere Depressionen verantwortlich machte. Autonomie überfordert uns. Daher ist Bescheidenheit, ja Demut gefordert.
Lob der Faulheit
Melancholie kann lähmend sein. Aber nicht jede Antriebsschwäche ist krankhaft. Was uns heute fehlt, ist Musse, Gelassenheit und der Mut zum Nichtstun. Die Faulheit passt ebenso wenig in die Leistungsgesellschaft wie die Melancholie. So schreibt der rumänische Schriftsteller Emil Cioran: «Um die moderne Welt wachzurütteln, muss das Lob der Faulheit angestimmt werden». Genau das hat der Schweizer Schriftsteller Lukas Bärfuss getan, mit seinem neuen Roman «Koala». Die Anspruchslosigkeit des Koalas fasziniere und provoziere uns, meint Bärfuss. In ihm spiegle sich unsere Sehnsucht nach Distanzlosigkeit und Geborgenheit, eine Sehnsucht danach, im Moment aufzugehen und mit der Umwelt gleichsam zu verschmelzen. Der Koala tut, was wir alle gerne tun würden, ohne schlechtes Gewissen und ohne Langeweile. Nichts.