Sie leisten viel rund um die Uhr. Und sie tun es im gesellschaftlichen Schatten: die Angehörigen von Demenzkranken. Ihre Lieben sind da und doch unerreichbar in einer anderen Welt. Der Ehemann lebt noch, aber als Partner ist er verloren. Die Mutter hat immer noch ihre Mamahände, aber ihr Blick ist fremd geworden. Sie erkennt das eigene Kind nicht mehr. Was für ein Kraftakt!
Ein hilfreiches Konzept
Die amerikanische Psychologin Pauline Boss hat für diese Doppelbödigkeit den Begriff «ambigous loss» kreiert. Dieses Konzept des «uneindeutigen Verlustes» hilft den Angehörigen, sich in der eigenen Zwiespältigkeit und Zerrissenheit zu verstehen und anzunehmen. Sie haben die Erlaubnis zur Trauer, obwohl der Angehörige noch lebt. Und sie dürfen ihn lieben und manchmal auch verabscheuen. Es ist auch normal, sagt Boss, das Ende herbei zu sehnen und sich gleichzeitig genau vor diesem Ende zu fürchten.
Die Verlustkette
Wenn jemand stirbt, darf getrauert werden. Es gibt gemeinsame Abschiedsrituale. Wenn jemand dement wird, gibt es eine lange Kette von Verlusten und keine gemeinsam Trauer. Es gibt keine Rituale und wenig Verständnis für die Angehörigen, die peu à peu den lieben Menschen an die Demenz verlieren. Pauline Boss empfiehlt kleine Rituale des Abschieds auf Raten. Das Betrauern des Unwiederbringlichen ist wichtig, um gesund zu bleiben. Ebenso wie die kleinen Freuden des Alltags. Tatsächlich ist das Krankheitsrisiko der pflegenden Angehörigen beträchtlich. Und nicht selten sterben sie vor dem Demenzerkrankten. Denn die Demenz kann länger als ein Jahrzehnt andauern.
Sowohl als auch
Der amerikanische Schriftsteller F. Scott Fitzgerald schrieb: «Die wahre Prüfung einer erstklassigen Intelligenz ist die Fähigkeit, zwei gegensätzliche Ideen im Kopf zu behalten und weiter zu funktionieren.» Genau dieses «Sowohl als auch», ist auch für die Grand Old Lady der Psychotherapie Pauline Boss wegweisend. Ihr Credo: Wer unter zu grossem Stress ist, kann nicht mehr gut pflegen. Deswegen ist es wichtig, sowohl die Bedürfnisse den dementen Angehörigen zu kennen und zu pflegen, als auch den eigenen Bedürfnissen nachzugehen. Ohne Gewissensbisse.
Nun gibt es Pauline Boss' Buch über den uneindeutigen Verlust bei Demenz auch auf deutsch. Die Schweizer Geriaterin Irene Bopp-Kistler und die Filmemacherin Marianne Pletscher haben das wegbereitende Werk der Amerikanerin übersetzt und bearbeitet.