Vor Kori Cioca liegen Medikamente, ein absurd anmutender Haufen Antidepressiva und Schmerzmittel. Die zierliche Frau aus Ohio nimmt sie seit fünf Jahren täglich. Seit ihr ein Vorgesetzter der US-Küstenwache den Kiefer brutal zertrümmert und sie vergewaltigt hat.
Cioca leidet unter Angstzuständen und hat unsägliche Schmerzen im Gesicht. Ein Jagd-Messer und ein Kruzifix sind ihre ständigen Begleiter: «Die sollen mich beschützen.» Seit der Tat ist für sie nichts mehr, wie es war. Cioca will, dass ihr Peiniger zur Rechenschaft gezogen und ihr Leid anerkannt wird, sie kämpft dafür – bis heute erfolglos.
Ein verleugnetes Thema
Zwei Filmemacher aus den USA folgen nun dem Schicksal der jungen Kori Cioca und vieler Leidensgefährten. Sie nähern sich einem verleugneten, noch nie dokumentierten Thema. «Der unsichtbare Krieg» heisst das Werk von Kirby Dick und Amy Ziering. 2013 wurde es als bester Dokumentarfilm für einen Oscar nominiert.
Jede Fünfte ist ein Opfer
Der Film zeigt: Über 20 Prozent der Frauen in der US-Armee werden von Soldaten der eigenen Abteilung vergewaltigt – mit Alkohol abgefüllt, im Schlaf übermannt, mit einer Waffe überwältigt. Einige einmal, andere über Wochen.
Nicht nur Soldatinnen werden zu Opfer: Ein Prozent ihrer männlichen Kollegen erleiden ebenfalls sexuellen Missbrauch. In absoluten Zahlen sind die männlichen Opfer sogar zahlreicher: 10'000 Männer und 9000 Frauen werden pro Jahr schätzungsweise vergewaltigt.
«Weine nicht über verschüttete Milch»
Aussagen von Opfern, Angehörigen und Militärangestellten zeichnen das Bild eines gesellschaftlichen und politischen Skandals. Der Film zeigt viele Opfer, viele Schicksale. Diese Schicksale haben eine unerhörte Ähnlichkeit: Die Opfer wandten sich um Hilfe an Ranghöhere, die Vorgesetzten hätten ein Verfahren einleiten müssen.
Doch keines der Opfer wurde ernst genommen. Ermittlungen – wenn es welche gab – wurden eingestellt oder als nicht prioritär eingestuft. «Don’t cry over spilt milk», hiess es – man könne die Tat ohnehin nicht ungeschehen machen. Einer Stabsadjutantin wurde gesagt: «Rede nicht darüber. Die Armee könnte schlecht dastehen.»
Berufsrisiko Vergewaltigung
Die Missbrauchsopfer leiden nicht nur, sie werden auch stigmatisiert, durch Gegenvorwürfe. Provokation, Ehebruch, unsittliches Verhalten, öffentlicher Rauschzustand – so lauten die Anschuldigungen.
Cioca und 15 Leidensgefährten erhoben Zivilklage gegen ihre Peiniger, doch wurde die Klage 2011 zurückgewiesen. Begründung: Eine Vergewaltigung in der Armee gehöre zum Berufsrisiko. Ohne Sühne können viele Opfer die Tat aber nicht verarbeiten. Dass ihr Leid nicht anerkannt wird, ist für viele qualvoller als die Tat selbst.
Ein Hoffnungsschimmer
Und wer sind die Täter? Männer, die ihre Macht, ihre Überlegenheit demonstrieren wollen. Die meisten konnten ihre militärische Karriere unbeirrt fortsetzen. Im letzten Jahr wurden 3223 Fälle angezeigt, aber nur 529 Täter verurteilt. 175 von ihnen verbüssen eine Haftstrafe. Kori Ciocas Angreifer dient nach wie vor bei der Küstenwache.
Vor einer Weile hat sich Verteidigungsminister Leon Panetta den Dokfilm angeschaut. Zwei Tage später liess er alle Fälle sexueller Übergriffe an höhere Instanzen weiterleiten. «Der unsichtbare Krieg»: Für Kori Cioca und ihre Leidensgenossen geht er weiter.