Eine richtungweisende «Ära Benedikt» ist es nicht geworden. Dafür
war die Zeit des Joseph Ratzinger auf dem Stuhl Petri dann doch zu
kurz und ein klarer Reformwille nicht zu sehen. Knapp acht Jahre
regierte der Deutsche als Nachfolger des populären Johannes Paul II.
die katholische Weltkirche. Dies gilt in der Zeitrechnung des
Vatikans bereits nicht mehr nur als Zwischenspiel.
Der Bayer aus Marktl am Inn wird den Gläubigen trotz der Kürze
seines Pontifikats in Erinnerung bleiben als einer, der das Gesicht
seiner Kirche immens geprägt hat. Denn vor seiner von Krisen
geschüttelten Zeit als Papst Benedikt XVI. war er über 20 Jahre lang
als Kardinal Joseph Ratzinger «oberster Glaubenshüter» der Kirche.
Auch das Bild bleibt: Benedikt, der sich 2010 dem üblen
Missbrauchsskandal der Kirche gestellt hat. Zwei Jahre später traf
ihn die «Vatileaks»-Krise um veruntreute Dokumente von seinem Tisch.
«Wir sind Papst»
Es ist ein Wechselbad der Gefühle: In den römischen Nieselregen
mischt sich am 19. April 2005 weisser Rauch aus einem vatikanischen
Schornstein. Zweieinhalb Wochen zuvor hatten Millionen Gläubige den
charismatischen polnischen Pontifex beweint, ihren Johannes Paul
II., gestorben 84-jährig nach einem schlimmem Leiden.
Nun tritt abends im päpstlichen Gewand derjenige auf den Balkon
des Petersdomes, der fast ein Vierteljahrhundert lang der mächtigste
Mann hinter Karol Wojtyla war: Die Kardinäle haben im Konklave
Joseph Ratzinger drei Tage nach seinem 78. Geburtstag an die Spitze
der katholischen Kirche gewählt. Ein deutsches Boulevardblatt titelt stolz: «Wir sind Papst.»
Unspektakulärer Bann
Jahre später waren die Gefühle - gelinde gesagt - gemischt. Jener
bayerische Theologieprofessor, der gar nicht Papst werden wollte,
hatte mit seiner freundlichen und zurückhaltenden Art zunächst die
Masse der Gläubigen in seinen eher unspektakulären Bann gezogen.
Dann sorgten kritische Worte dieses brillanten Denkers, der für sich
den Papstnamen Benedikt XVI. gewählt hatte, für Aufruhr bei Muslimen.
Kommunikationspannen des Vatikans verschlimmerten die Krise rund um die Wiederannäherung Roms an die erzkonservativen Pius-Brüder aus Ecône VS mit dem Holocaustleugner Richard Williamson. Später verbreiterte das häppchenweise Aufdecken sexuellen Missbrauchs die Kluft zwischen der Kirche und den Gläubigen.
Einheit der Kirche
In dieser tiefsten Krise seiner Kirche seit langem beklagte er
die «Sünde in der Kirche», bat um Vergebung und forderte «Null
Toleranz». «Ich bin doch nur ein einfacher, kleiner Arbeiter im Weinberg des
Herrn», hatte der frisch gewählte Papst erklärt, der als Präfekt der
Glaubenskongregation oft als «Panzerkardinal» oder auch «Inquisitor»
angefeindet worden war.
Bereits als er 1981 von Johannes Paul II. in den Vatikan geholt
wird, lautet Joseph Ratzingers bis zuletzt gültige Botschaft: «Nicht
alle Meldungen, die aus Rom kommen, werden angenehm sein.» Er sah
auch als Papst seine Aufgabe darin, den konservativen Kurs seines
polnischen Vorgängers fortzusetzen und als brillanter Theologe und
Vielschreiber den Gläubigen Lesefutter zu bieten.
Reformen blieben aus
Er wollte die Einheit der Kirche bewahren auch in heiklen Jahren. Und er hielt deshalb trotz aller Kritik an den Werten fest, die er als überlebensnotwendig ansieht. So blieben lange geforderte Reformen etwa beim Zölibat oder der Sexualmoral aus.
Er blieb auch bei der ablehnenden Haltung zu Abtreibung, Sterbehilfe und Kondomen treu, betonte weiter die «Einzigartigkeit» der katholischen Kirche und liess begrenzt liturgische Formen aus der Zeit vor den Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) wieder zu. Ob
er das nun gut erklärte oder nicht, immer kam Kritik von denen, die
eine «Öffnung» wollten.
Vatikanische Defizite
Neben dem Missbrauchsskandal lastete die Krise um die Piusbrüder
bleiern auf dem Pontifikat - und legte vatikanische Defizite offen.
Mit der umstrittenen Rücknahme der Exkommunikation der Piusbischöfe
durch Benedikt schoss der Vatikan ein glattes Eigentor, wurde doch
«übersehen», dass sich darunter der Holocaust-Leugner befand.
Und die Kurie, die sowieso nur selten einheitlich an einem Strang
zieht, war überfordert, konnte diese päpstliche Entscheidung nicht
vermitteln.
«Wenn solche Dinge vom Vatikan rechtzeitig erklärt worden wären,
hätte man sie vielleicht auch besser verstehen können», meinte der
langjährige Chef der deutschen Sektion von Radio Vatikan, Eberhard
von Gemmingen. Benedikt selbst sei dabei eine «reine Seele» (anima
candida), also oft weit weg von der Realität. In einem Elfenbeinturm?
Stillstand der Ökumene
Die Muslime waren verärgert über Benedikts Islam-kritisches Zitat
in der «Regensburger Rede» im September 2006. Nicht nur der Streit
um die Piusbrüder und den «Weltkriegs-Papst» Pius XII. verärgerte
die jüdischen Kreise. Kritiker bedauerten den Stillstand in der
Ökumene.
Auch wenn Benedikt offen in die vielen Gespräche mit anderen
Kirchen und Religionen ging, das Misstrauen schien grösser denn je,
und die Medien belauerten jeden Schritt des deutschen Papstes.
«Praktisch ist der Krisenzustand permanent», erklärte der Vatikan-
Kenner der Zeitung «La Repubblica», Marco Politi, der dpa. Und er
sprach von mangelnder Führungskraft: «Hat man kein
Fingerspitzengefühl fürs Regieren, gibt es immer Probleme.» Fehlte
dem Professor Ratzinger dafür das Talent?